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Doktor auf Abwegen

Doktor auf Abwegen

Titel: Doktor auf Abwegen
Autoren: Richard Gordon
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Riesengeschäften, Massenunterhaltungen, Presse, Gewerkschaften, Erziehern ebenso unerwünscht wie Unkraut im Garten Eden, den man für uns geschaffen hat.»
    «Genau meine eigene Ansicht.» Er hielt sich gerade noch zurück, begeistert auf seine Schenkel zu klopfen. «Das erste, was man in der Medizin lernt, ist, daß jedermann von größter Bedeutung für sich selbst ist. Vergißt man das, hat man wenige und noch dazu mißtrauische Patienten. Ich habe nie verstanden, warum ein so zwingender Instinkt wie die Selbstsucht eine so große soziale Sünde sein soll. Dieser Arrows ist ein Individualist, der in der Kindheit durch ein Interesse etwa an Malerei oder Töpferei hätte entschärft werden können. Er hätte ein großer Dichter werden können, hätte er Talent gehabt. Oder ein großer Philosoph, hätte er Verstand gehabt.»
    Sie murmelte: «Selbstbewußtsein ist der Stachel, der den klaren Geist spornt.»
    Sir Lancelot lächelte und sagte liebenswürdig: «Ich stelle mit Freuden fest, daß hier — wenn auch nicht nebenan — eine Gleichheit unserer Ansichten herrscht.» Womit er meinte, daß die ihren mit den seinen übereinstimmten.
    «Rauchen Sie denn gar nicht?» fragte sie und bot ihm nochmals eine Zigarette an.
    «Die Gefahren des Rauchens, die ich täglich sehe, sind eindrucksvoller als das, was auf dem Päckchen steht.»
    Sie legte die Packung unberührt auf den Tisch zurück.
    «Ich bin an einer so umstrittenen Institution wie dem hiesigen Heiligen-Grab-Hospital ganz besonders interessiert», enthüllte sie, «weil — ich kann es Ihnen wohl unter dem Siegel der Verschwiegenheit an vertrauen — ich der nächste Bürgermeister von Spratt’s Bottom sein werde.»
    «Wie erfreulich zu wissen, daß dieses Amt von einer so intelligenten Persönlichkeit ausgeübt werden wird.»
    «Sehr freundlich von Ihnen. Könnten Sie mir vielleicht einen Besuch der Anstalt ermöglichen?»
    «Ich werde Ihnen sogar nächsten Donnerstag Zugang zu meinem OP verschaffen», sagte er großzügig. «Hoffentlich fallen Sie beim Anblick von Blut nicht in Ohnmacht.»
    «Höchst unwahrscheinlich. Mein Vater, Mr. Bridgenorth, war Chirurg —»
    «Der alte Stuffy Bridgenorth?» rief Sir Lancelot. «Der hat mir alles über die Prostata beigebracht.»
    «Sie waren im St.-Swithin?» fragte sie erstaunt. Bevor er antworten konnte, läutete das Telefon. «Verzeihen Sie - ja? Für Sie», fugte sie mit hochgezogenen Brauen hinzu. «Aus Downing Street Nummer 10.»
    «Hallo?» sagte Sir Lancelot. «Charles? Heute nicht bei Lord’s? Jowler ist in Hochform. Hm. Was, wirklich? Heute um acht Uhr früh? Und er? Und er? Nicht er? Bemerkenswert. Das ist ein Schlag. Ja, vermutlich. Morgen abend? Ich gebe die Nachricht weiter. Er ist heute hier. Danke. Ich glaube, Jowler wird noch vor Mittag alle erledigt haben, was?» Er legte den Hörer auf. «Ein Freund aus meinem Club», erklärte er. «Wollen Sie mich bitte freundlichst entschuldigen, ich muß ins Heilige Grab, um eine einigermaßen dringende Nachricht zu übermitteln.»
    Während Sir Lancelot noch auf den Waagschalen der Justitia schaukelte, schritt Ron Cherrymore finsteren Blickes über den Golfplatz von Spratt’s Bottom. In der einen Tasche seiner Jeans befand sich ein Plastikbehälter voll Barbiturattabletten, die er am Abend zuvor in der Apotheke des Hospitals gestohlen hatte. Aus der anderen ragte eine vor kurzem gekaufte Taschenbuchausgabe von Sophokles’ «Ödipus» hervor. In der Brusttasche seines geblümten Hemdes steckte ein Zettel mit der kurzen Nachricht: «Ich entsagte meinem Titel. Nun entsage ich meinem Leben. Grüße an Jenny. Ron.» In der Hand trug er eine Flasche Scotch Whisky.
    «Achtung!» gellte es ihm in den Ohren. Ein Golfball pfiff an seinem Kopf vorbei. «Sie Narr, wollen Sie sich umbringen?» fragte ein wütender Mann mit einem Driver.
    «Oh, Verzeihung», entschuldigte sich Ron. «Ja, sozusagen.»
    «Gott weiß, was mit dem Club alles geschieht», erklärte der Golfspieler. «Jetzt scheinen sie schon die psychiatrischen Fälle hereinzulassen.»
    Ron erinnerte sich an ein Dickicht, das zwischen dem ersten und dem achtzehnten Fairway lag. Mühsam bahnte er sich seinen Weg durch Brombeerstauden und Stechginster. In der Mitte des Dickichts säuberte er einen Platz und lehnte sich an eine Fichte. Er nahm den Sophokles heraus, überflog ihn und fragte sich, warum der Arzt ihm diesen Autor empfohlen hatte. Er schraubte die Kapsel mit den Barbituraten auf und fand, daß sie
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