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Doktor auf Abwegen

Doktor auf Abwegen

Titel: Doktor auf Abwegen
Autoren: Richard Gordon
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einmal einen Job als Katzenarzt anbieten.»
    Pip sagte flehend: «Aber Tantchen Florrie sagte mir, daß Sie Ihren ehemaligen Studenten gerne helfen.»
    «Nicht einem Studenten von Ihrer Ignoranz, Unfähigkeit und Indolenz, der einst sogar in St.-Swithin auffiel.»
    «Tantchen Florrie -»
    «Ihre Tante Florrie ruft einen ganz eigenartigen Reflex in mir hervor. Jedesmal wenn sie den Mund aufmacht, fühle ich einen Stich im Hintern. Auf Wiederhören.»
    Sir Lancelot legte den Hörer auf.
    Nachdenklich lag er in seinem gestreiften Pyjama da, die Hände über der Bauchwölbung gefaltet. In diesem massiven eichenen Himmelbett hatte sein Vater den letzten und er selbst den ersten Atemzug getan. Auch er würde voraussichtlich darin sterben. Sir Lancelot bezeichnete sich selbst gern als Traditionalisten. Bei anderen, weniger Toleranten galt er als widerlich verschrobener alter Kauz.
    Ein Lüftchen bewegte den Netzvorhang seines im ersten Stock gelegenen Schlafzimmers. Sein schmales Terrassenhaus blickte auf ein zwischen Mauern eingezwängtes Hintergärtchen, dessen Rosenstöcke in Reih und Glied standen und dessen Rasen so kurzgeschoren war wie ein Matrosenschädel. Dahinter türmten sich die weißen Neubauten des St.-Swithin empor, auf demselben Fleck, wo einstens in den ungebärdigen Zeiten König Stephens die ersten Kranken behandelt worden waren.
    Er sah die ersten Lichter aufflammen. Die Hospitalnacht bereitete sich offiziell auf den Morgen vor. Zerknitterte Schwestern wichen der frisch gestärkten Tagesschicht, die Patienten wurden durch einen herzhaften Tee aus dem Schlummer gerüttelt. Ein Hospital gleicht einer Armee, fand Sir Lancelot. Die Fachärzte waren die unerreichbaren, unentwegten und unfehlbaren Generäle — was für einen Sinn hatte es, wenn Patienten und Soldaten anders dachten, wer lenkte sonst die Fäden ihres Lebens? Verwaltungsbeamte und Hausärzte waren die Offiziere, Schwestern die energischen Unteroffiziere, das Rückgrat der Streitmacht. Die Patienten waren die armen verdammten Infanteristen, die sich gegenseitig aufzumuntern suchten, wenn sie sich unter dem ärztlichen Granatenhagel duckten. Leider konnten jetzt die gewerkschaftlich organisierten Truppenbetreuer jede Schlacht augenblicklich zum Stillstand bringen.
    Es war zu hell zum Schlafen, zu früh zum Aufstehen. Er griff nach einer dicken Broschüre, die auf seinem Nachttischchen lag. Ihr einfacher weißer Glanzfolienumschlag trug in fetten schwarzen Lettern die Aufschrift:
    S CHRUMPFE,
    A MELIA
    W ITHERSPOON
     
    Es war nicht Sir Lancelots übliche Lektüre, doch wie alle erfolgreichen Tatmenschen kannte er den Wert von Fleißaufgaben.
    Binnen einer Stunde stand er auf, badete sich, rasierte sich, legte den dunklen Anzug und das weiße Hemd an, die er für standesgemäß hielt, und ging mit einer seiner bösen Vorahnungen hinunter, die den sonnigsten Morgen mit dunklen Wolken zu verhängen vermochten.
    Die Fenstertür seines kleinen, quadratischen Speisezimmers stand gegen den ummauerten Garten offen. Er schlürfte eben seinen Kaffee am runden Tisch, als die Tür aufging.
    «Aye, was soll das heißen? Sie mögen Ihren Räucherfisch also nicht?» Miss MacNish, die schottische Haushälterin, die Sir Lancelots Heim teilte, nahm ihm den Teller mit dem unberührten Fisch weg, als hätte er sie persönlich beleidigt.
    «Dieses gelbgefärbte, tiefgekühlte, maschinell erzeugte Schellfischfilet hat mit einem richtigen geräucherten Schellfisch soviel Ähnlichkeit wie Katzenfutter mit Kaviar.»
    «Sie haben auch Ihr Haggis 1 mit zerstampften Kartoffeln, das ich gestern abend extra für Sie machte, nicht gegessen», fuhr sie anklagend fort.
    «Mich interessiert die schottische Küche, die größtenteils aus Hafergrütze und Eingeweiden besteht, nur insofern, als sie für die schlechte Gesundheit und die schlechten Zähne der meisten Schotten verantwortlich ist.»
    Miss MacNish war klein, blaß, dürr und rothaarig. Sie war mit einem reinen und süßen schottischen Akzent nach London gekommen. Jetzt aber beherrschte sie meisterhaft die Kunst, so unverständlich zu krächzen wie die Anhänger der Glasgow Rangers an einem Samstagabend. Viele schottische Ärzte gaben sich ähnlich affektiert, erinnerte sich Sir Lancelot schmerzlich. Vielleicht bildeten sie sich ein, daß dieser Akzent nach Heidekraut duftende presbyterianische Gesundheit in die schlechte Londoner Luft ausströmte? Oder war es aufs Fernsehen zu-ückzuführen?
    Miss MacNish dehnte sich auf
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