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Das laesst sich aendern

Das laesst sich aendern

Titel: Das laesst sich aendern
Autoren: Birgit Vanderbeke
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    ch weiß nie ganz genau, ob Adam Czupek meine Rettung oder mein Verhängnis ist oder womöglich beides.
    Sicher ist, dass es mich ziemlich aus der Kurve getragen hat, als ich ihn kennenlernte. Peng. Ein Knall, ein Krach, ein Beben, und von da an ist es eigentlich nicht mehr geradeaus gegangen.
    Adam war schon immer draußen. Draußensein ist gefährlich, aber Adam kannte es nicht anders, und ich hatte keine Ahnung, dass ich drinnen gewesen war, bis ich Adam begegnete.
    Wenn du in Deutschland fünf Kinder hast, bist du draußen, sagte er, bevor er mich seiner Familie vorstellte. Er war das dritte. Seine Mutter war durchgeknallt, als das fünfte Kind zwei Jahre alt war, ein- bis zweimal im Jahr hieß das Klapse. Sich mit Mandrax zudröhnen lassen.
    Draußensein bedeutet, dass du nicht so einfach ins Gymnasium kannst, hatte mir Adam erzählt.
    Ich war einfach aufs Gymnasium gekommen und hatte nicht gewusst, dass das mit meinen Eltern zu tun hatte, vielmehr mit meinem Vater, der in seiner Firma ein hohes Tier war. Big Boss, sagten die Leute, die unter ihm arbeiten mussten. Alle hatten Angst vor ihm, wir auch.
    In guten Häuser kann es zugehen wie in der Hölle, trotzdem war ich eine Tochter aus gutem Haus. Damit war ich erst mal drinnen und hatte keine Ahnung davon, dass es ein Draußen überhaupt gab.
    Adam hat einen IQ um die 140, je nach Tagesverfassung, kann auch schon mal auf 138 sacken. Die fünfte Klasse hat er erst in der Hauptschule abgesessen, bevor sie ihn in die Realschule gelassen haben, und bevor er von dort aufs Gymnasium kam, war noch eine Ehrenrunde fällig gewesen.
    Sein Vater war ein kleiner Beamter, nicht sehr helle, Sachbearbeiter für Falschgeld und beschädigte Scheine bei der Bundesbank. Er war nach dem Krieg im falschen Leben gelandet, vielleicht wäre er lieber schwul gewesen, aber Schwulsein war nicht so leicht in den Fünfzigerjahren. Als ich ihn kennenlernte, waren wir in den Achtzigerjahre, da hatte er schon über dreißig Jahre lang täglich vermoderte Blüten und Scheine gezählt.
    Er stand morgens als Erster auf und machte Kaffee, und während er Kaffee machte, fluchte er durch die Küche, dass alle im Haus es hören konnten.
    Das Haus war für sieben Personen zu klein. Es war dunkel, überheizt und vollgestopft mit Sachen, die auf den ersten Blick keinen Zusammenhang hatten, und es roch muffig. Adam wohnte mit seinem Bruder in der Garage.
    Adams Bruder hat ein sensationelles Gedächtnis für Zahlen. Überhaupt ein sensationelles Gedächtnis für nutzloses Zeug. Die Börsenkurse von vor drei Jahren, die technischen Daten des Opel GT. Er wäre gern zum Grenzschutz gegangen, am liebsten zur GSG 9, aber natürlich fiel er bei der Einstellung durch, weil seine Mutter aktenkundig durchgeknallt war. Nach der Hauptschule fand er einen Job als Kopierer und blieb in der Garage wohnen, bis erst der Vater und zuletzt auch seine Mutter gestorben waren. Da war er knapp fünfzig. Adams Mutter hatte eine sensationelle Begabung für Sprache. Ihre Sätze waren kompliziert und kunstvoll verschachtelt. Wenn ich ihr zuhörte, dachte ich, so einen Satzbau kann sich doch keiner merken; oft war ich sicher, jetzt hat sie den Faden verloren, aber immer kam sie mit dem richtigen Verb hinten aus ihrem endlosen Satz wieder raus. So weit war alles wunderschön und in Ordnung, nur hatten die Sätze keinen erkennbaren Sinn. Es kamen der Krieg, die Russen, die Flucht darin vor, Frauen, die mit schlohweißem Haar aus dem Moor zurückgekehrt waren, Bahnhöfe, Güterzüge, es ging ums Verhungern und ums Erfrieren, um Gewalt, und zuletzt wurde es immer obszön. Grammatisch korrekt, aber dada.
    Deshalb glaubte Adam, als ich ihn kennenlernte, nicht an Sprache.
    Ich glaubte daran.
    In den ersten Jahren saßen wir oft bis nachts um vier oder fünf in der Küche und stritten uns darüber, ob Sprechen etwas bringt. Adam fand, es bringe nicht viel, aber nach einer Zeit hatte er sich daran gewöhnt, dass wir es machten.
     
    Als ich Adam meinen Eltern vorstellte, war er zwanzig, und es war von vornherein klar, dass das danebengehen würde. Adam roch nach Werkstatt, nach Holz, nach Metall und nach Arbeit. Er hatte schon damals Hände, an denen der Dreck festgewachsen war; das war mit Seife nicht abzukriegen.
    Mein Vater las Zeitung und überließ meiner Mutter die Inquisition, was macht denn Ihr Vater beruflich und so weiter, und als sie damit durch war, holte sie aus einer Kirschholzschublade einen Bilderrahmen, der ihr
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