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Doktor auf Abwegen

Doktor auf Abwegen

Titel: Doktor auf Abwegen
Autoren: Richard Gordon
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Selbstverständlich auch unseren Volksgesundheitsdienst.»
    «Du bist ein richtiger Schürzenjäger, was, Lancelot?»
    «Wenn ich’s wäre, kann ich darauf nur antworten, daß Ms. Witherspoon, nach ihren Druckwerken zu urteilen, die Zielstrebigkeit einer nicht mehr jungen Hündin an den T ag legt, die ihren Lieblingsknochen ausgräbt. Ich glaube, ich verdrücke mich in aller Stille mit dir», fügte Sir Lancelot hinzu. «Ich hab an diesem Morgen schon genug unter keltischem Unwesen gelitten.»
     

2
     
    Sir Lancelot lenkte seinen alten Rolls-Royce ins West End. Seine gegenüber Nairobi geäußerte Wettervorhersage schien zuzutreffen. Man hatte zuerst, um Lancelots Lieblingsautor zu zitieren, «die gewohnten schaurigen Unbilden des Mai» durchgemacht, eines Monats, der in England mehr die poetische Einbildungskraft erwärmt als die Finger. Die ersten Junitage hatten als vor Kälte klappernde Gefangene «in den Verliesen des Winters schmachten» müssen, in dieser Woche aber leuchtete der Himmel wieder wedgwoodblau, und Sommerwärme umschmeichelte die rheumatischen Glieder mit belebenden, leichten Fingern.
    Sir Lancelot parkte seinen Wagen vor dem Bunter’s Hotel in Mayfair. Es lag, ein kleiner Rotziegelbau, hinter Grün versteckt; im Inneren vermittelten die zahlreichen Plüschvorhänge und pflaumenblauen Teppiche die stille Üppigkeit eines adeligen Wohnsitzes zur Zeit Edwards VII. während der Londoner Season. Sir Lancelot betrat den gold- und cremefarbenen Aufenthaltsraum, in dem nie eine laute Stimme oder eilende Schritte erklangen und Besucher mit solcher Feierlichkeit ausgerufen wurden, als wären sie inzwischen gestorben. Kein Brite wäre imstande gewesen, sich hier mehrere Jahre lang aufzuhalten.
    Sir Lancelot fragte den jungen Mann im Cut hinter dem Mahagonipult nach Ms. Witherspoon.
    «Sir Lancelot?» drang eine Stimme an sein Ohr. «Bitte — ich habe Sie nicht angesprochen. Und dabei bin ich noch nie einem richtigen Ritter begegnet.»
    Er drehte sich verblüfft um. Nach der Lektüre von Schrumpfe hatte er sich Ms. Witherspoon als eine jener kieselharten Frauen vorgestellt, aus denen die Reibung mit der Welt ständig Funken sprühender Entrüstung zündet. Frauen, die für den Konsumenten auf die Schanzen steigen und lautstarke Verfechterinnen rechtschaffener, aber langweiliger Projekte. Statt dessen sah er eine zarte, schlanke Blondine vor sich, mit einem Mund, der ihn faszinierte, weil er für ihr Gesicht zu groß war. Ihre Augen waren wasserblau, doch ihr Blick deutete gefährliche Untiefen an. Sie trug ein cremefarbenes Kleid mit weißen Handschuhen und eine weiße Handtasche, als wäre sie bei einer Gardenparty im
    Buckingham-Palast eingeladen. Er fragte sich, wie alt sie sei. Irgendwo 'i zwischen dreißig und fünfzig. Keiner würde drauf kommen, bevor sie von Senilität befallen wurde.
    «Sehen alle Ritter so furchteinflößend aus wie Sie?» fragte sie gewinnend. «Aber Sie sind es ja in Wirklichkeit gar nicht. Soll ich einen Knicks machen, oder genügt ein Händedruck?»
    Er verbeugte sich. «Zu Ihren Diensten.»
    «Ist heute nicht ein herrlicher Tag? Wissen Sie, ich war noch nie in England. Ich wurde in dem Glauben aufgezogen, London liege das: ganze Jahr hinter einem dicken Erbsensuppennebel verborgen.»
    «Charles Dickens hat sowohl unser Wetter wie unsere Menschen allzu schonungslos aufs Korn genommen.» Er führte sie zur Eingangstür. «Darf ich der Hoffnung Ausdruck geben, daß Sie weiterhin keine schlimmen Vorurteile bezüglich des Wetters oder anderer Dinge hier hegen?»
    Er hatte sich mit seiner gewohnten Gründlichkeit auf diese Begegnung vorbereitet. Er konnte sich noch der Tage entsinnen, da die Briten gönnerhaft auf die Amerikaner herabgeblickt hatten. Jetzt! blickten die Amerikaner geradezu unvorstellbar gönnerhaft auf die Briten herab. Das schien mit dem Dollarkurs zusammenzuhängen. Sir Lancelot war alt genug, um sich zu erinnern, daß sich das Empire einst wie ein roter Teppich um die Erdkugel gewunden hatte. Loyal beschloß er, sein Land in einem rosigen Schimmer zu präsentieren, i mochte die Wirklichkeit auch eher einem stürmischen Sonnenuntergang gleichen.
    «Sie stellen sich wahrscheinlich vor, daß wir ein streitsüchtiges Volk von Spießern sind?» fragte er mit einem milden Lächeln. «Ein Volk mit steifer Oberlippe, kalten Schultern und engem - äh, Schließmuskel. Doch wir sind herrlich, fröhlich, tolerant, freundlich und unter allen Umständen
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