Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dimension 12

Dimension 12

Titel: Dimension 12
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
feststellen. Kein Fieber, keine abnormale Zellenzählung, keine Sehstörungen, nichts. Das Vegetativum wackelt, aber das passiert jedem von uns ab und zu. Der Apparat sagt, daß sie vollkommen gesund ist. Sie behauptet, krank zu sein. Nun?«
    Mühsam würgte ich hervor: »Scheint sich um etwas Neues zu handeln, was, Bert? Vielleicht brauchen Sie einen anderen Diagnostaten.«
    »Oder Sie einen anderen Verstand«, schnauzte Tolbertson mich an. »Die Kleine simuliert. Ihre Krankheit heißt chronisches Drückebergertum, und dagegen habe ich kein Pülverchen. Das ist ein Fall für Sie, Harp. Gehen Sie mal zu ihr.«
    Ich legte auf. Dann rief ich die Kombüse an und sagte dem Koch, er solle bis auf Widerruf allen Mahlzeiten eine kräftige Prise Beruhigungsmittel beifügen. Er grinste mich an und sagte: »Bis Eva sich wohler fühlt, was, Doc?«
    »Genau«, erwiderte ich tonlos.
    Ich stellte das Visiphon ab und starrte sekundenlang auf mein Bild im Kabinenspiegel. Schön war mein Gesicht nie gewesen, aber jetzt sah es zum Fürchten aus: grau, verfallen, und schlotternd. Ich erwog, eine meiner eigenen Pillen zu schlucken, ließ es dann aber doch bleiben. Statt dessen begab ich mich zu Eva.
    Bei meinem Eintritt lag sie am Rand des breiten Doppelbettes. Sie war gar nicht erst aufgestanden, sondern hatte bloß »Herein« gesagt und gewartet. Ich knipste das Licht an. Sie drehte sich um und sah mich an. Man mußte kein Psychologe sein, um zu sehen, daß sie geweint hatte. Mannschaftsmädchen aber haben nicht zu weinen. Sie haben vierundzwanzig Stunden täglich sonnige Spielgefährtinnen zu sein. Ich hatte ernste Sorgen.
    Ich setzte meine freundlichste Onkel-Doktor-Miene auf und begann: »Wo fehlt’s denn? Dr. Tolbertson rief mich eben an und sagte…«
    »… daß ich völlig gesund sei und schleunigst in Aktion treten solle. Stimmt’s?«
    Ich schäumte innerlich. Tolbertson war für seine Taktlosigkeiten bekannt. »Er hat mir gemeldet, daß Sie keinerlei organische Krankheit haben. Sie hingegen haben Leo Marshall fortgeschickt, weil Sie sich angeblich nicht wohl fühlen.«
    »Das stimmt auch.«
    »Wollen Sie mir nicht sagen, was Ihnen fehlt? Sie wissen, daß Sie auf diesem Raumschiff eine ungemein wichtige Rolle spielen.
    Verkrampfte Männer machen Fehler. Wenn man aber bei einer einzigen Reise hundertfünfzig Nullraumübergänge durchführen muß, kann man sich keine Irrtümer leisten. Und Sie sind das einzige Besatzungsmitglied, das unersetzlich ist.«
    Sie wandte sich von mir ab. Ich hörte sie verstohlen aufschnupfen.
    Ich legte ihr die Hand auf die Schulter und richtete sie auf. Sie sah mich ernsthaft an. Wie ein kleines Mädchen, dachte ich, ein Kind! »Es war nur die Umstellung, Doktor«, sagte sie. »Langsam gewöhne ich mich daran. Lassen Sie mir nur noch ein oder zwei Tage Zeit, bitte. Bis dahin werden die Männer doch wohl noch warten können, oder?«
    Sie lächelte mich flehend an. Ich begann zu schwitzen. »Einverstanden«, antwortete ich. »Jede Umstellung braucht ihre Zeit. Wir wollen also noch zwei Tage verstreichen lassen. Aber regen Sie mir die Männer nicht auf, wenn Sie nicht bereit sind, auch die Konsequenzen daraus zu ziehen.«
    Ich sah auf sie hinab. Sie machte einen ungemein rührenden und verlorenen Eindruck. Ich konnte sie mir beim besten Willen nicht als Mannschaftsmädchen vorstellen. Eher sah ich sie irgendwo auf Erden in einem Drugstore sitzen und Himbeereis löffeln. Die kleine Hexe hatte mich beschwatzt, ihr einen Job zu geben, für den sie nicht die leisesten Voraussetzungen mitbrachte. Ich schien mich bis auf die Knochen blamiert zu haben, aber es war zu spät, diesen Fehler wieder gutzumachen.
    Zwei Tage vergingen. Eva mischte sich unter die Besatzung, aß mit den Männern und lachte mit ihnen. Natürlich war das Essen präpariert, aber ich konnte die Leute nicht auf die Dauer mit Beruhigungsmitteln füttern lassen. Jene beiden Tage waren die Hölle. Jeder verliebte sich in sie. Es gab keinen einzigen Mann an Bord, der sie nicht innig ins Herz geschlossen hätte. Captain Bannister und ich bildeten auch keine Ausnahme.
    Das war nämlich das peinlichste an der Sache. Bisher waren unsere Mannschaftsmädchen bessere Huren gewesen, manchmal auch schlechtere. Diesmal hatten wir ein Juwel in unserer Mitte – aber sie war unnahbar. Zumindest in jenen beiden Tagen. Ich vertröstete die Leute und versprach, daß Eva nach Ablauf dieser beiden Tage ihre Aufgabe erfüllen würde wie jedes andere
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher