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Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Titel: Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
Autoren: Wladimir Kaminer
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an Konzerttagen früher nach Hause kommen.
    Die Berliner sind entspannte Menschen und nicht sonderlich neugierig. Niemand von meinen Nachbarn hat mein neues Auto bemerkt, außer vielleicht die Mexikaner, die bei uns an der Ecke vor einem Monat ihre mexikanische Bar Arriba aufgemacht haben. An dieser Kreuzung blieb ich oft vor der Ampel stehen, in deren Nähe die Besitzer des Ladens bei jedem Wetter draußen saßen und sich langweilten. Der Laden lief überhaupt nicht. Wir grüßten einander wie alte Freunde, schließlich kannte ich sie gut, denn eigentlich waren diese Mexikaner Inder, und als solche kennt sie die ganze Straße. Die Inder hatten schon seit einer Ewigkeit die beiden indischen Restaurants in unserer Straße mit den unspektakulären Namen Goa und Goa II . Als die Apotheke an der Ecke pleiteging, wollten die Inder sofort expandieren und ein drittes Restaurant eröffnen, wahrscheinlich ein Goa III . Doch die Bezirksleitung oder der Hausbesitzer hielt dagegen. Zu viele Inder.
    »Wo bleibt die multikulturelle Vielfalt?«, argumentierten sie, »wir bestehen auf der Gleichberechtigung aller Völker!«
    »Kein Problem!«, sagten die Inder und machten einen mexikanischen Laden auf, der nun mit demselben unendlichen Speiseangebot zu erschreckend niedrigen Preisen und mexikanisch klingenden Namen versucht, Kundschaft anzulocken. Doch die treue Kundschaft, die unsere Inder gut und gerne besuchte, als sie noch Inder waren, traute den gleichen Indern als Mexikaner nicht mehr über den Weg. So misstrauisch sind die Menschen hier, so tief sind die Vorurteile in unserer Gesellschaft verankert!
    Ich war ehrlich gesagt froh, dass ich mir den Spaß des Autofahrens für später aufgespart hatte und nicht wie die meisten mit achtzehn Jahren zur Fahrschule gegangen bin. Wenn man jung ist, fliegt einem das Leben sowieso blitzschnell um die Ohren. Merkt es ein Achtzehnjähriger überhaupt, wenn er nicht mehr zu Fuß geht, sondern am Steuer sitzt? Mit 43 aber bringt einem der Führerschein ein neues Lebensgefühl. In einem Alter, in dem man sowieso anfängt, sich Gedanken über die Vergänglichkeit und die Zerbrechlichkeit des Lebens zu machen, ist der Fahrspaß besonders groß. Jedes Wochenende fuhr ich nun raus aus der Stadt auf die Autobahn – natürlich nicht einfach so, sondern in wichtiger Angelegenheit, beispielsweise um unseren verschneiten Garten zu begutachten und Pläne für den Frühling zu schmieden. Wenn ich also die Stadt hinter mir ließ, in dieser Kapsel des Todes mit 170 PS, und richtig Gas gab, wenn ich im Sonnenuntergang die Lichterkette von unzähligen anderen Kapseln des Todes bis an den Horizont sah, war mir die Vergänglichkeit und die Zerbrechlichkeit meiner Welt besonders deutlich. Eine falsche Bewegung und sie war im Arsch. Deswegen immer schön vorsichtig fahren.
    Der Führerschein allein gab einem Fahrer keine Sicherheit auf den Straßen Berlins. Erfahrung war viel wichtiger als ein Stück Papier, und in der Stadt brauchte man Selbstvertrauen. Wenn ich an einer Kreuzung stehen blieb, weil der Motor absoff, hinter mir zwei LKW s nicht aneinander vorbeikamen und direkt vor meiner Kreuzung eine echte Blondine falsch parkte, während links und rechts alles hupte und Grimassen schnitt, half mir der Führerschein wenig, Ruhe zu bewahren. Deswegen versuchte ich schnell, Fahrerfahrung zu sammeln. Ich fuhr meine Frau zum Einkaufen, meine Mutter ins Schwimmbad, meine Tochter zum Ballett, meine Tante zum Arzt. Das Anstrengendste waren die Parkhäuser. Das Parkhaus bei uns in den Schönhauser Allee Arcaden war eine Falle für Anfänger. Kein Auto passte von allein in den schmalen Eingang, es musste passend gemacht werden. Wahrscheinlich würde sich in diesem Parkhaus ein Smart-Fahrer wie zu Hause fühlen, mit meinem Superb fühlte ich mich dort allerdings wie ein Elefant im Porzellanladen. Noch kurviger hätten sie es aber auch kaum bauen können. Umso größer die Erleichterung, wenn man aus dieser Parkhölle wieder an die frische Luft kam. Plötzlich schienen mir unsere engen Straßen unerhört breit und leer.
    Einmal hatte meine Mutter auf einen falschen Knopf gedrückt, und sofort fing ihr Beifahrersessel an sich zu bewegen, um die Stellung des vorigen Passagiers anzunehmen. Das war meine kleine Tochter gewesen, sodass meine Mutter nun beinahe gegen das Armaturenbrett gedrückt wurde. »Tu was!«, bat sie mich, doch ich wusste auch nicht, wie man dieses elektronische Sesselgedächtnis abstellte. In der
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