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Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Titel: Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
Autoren: Wladimir Kaminer
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manchmal am frühen Samstagmorgen gefühlte drei Glücklitzer mit einer Kiste Bier auf einer Bank vor dem Eingang saßen und nachdenklich in die Ferne schauten. Nach langem innerem Kampf beschlossen die Frauen, das Haus zu verkaufen und mit dem Geld in einer rollstuhl- und kindergeeigneteren Gegend zu bauen.
    Wir waren die idealen Käufer. Uns kümmerte die Abwesenheit von Bäckerei und Schule nicht. Wir wollten nichts um- oder dazubauen. Wir verlangten nicht das Gutachten des unabhängigen Architekten. Unsere Vorgängerinnen hatten in Glücklitz Großes vorgehabt, sie wollten ihren Lebenstraum verwirklichen. Wir wollten nur ein paar Pflanzen gießen, in der Sonne sitzen und ab und zu grillen, wie damals schon im Schrebergarten. Nur sollte uns dieses Mal keine Prüfungskommission dazwischenkommen. Das Geld fürs Haus hatten wir schnell zusammen, ein paar Freunde halfen uns. Wir hätten die Rebstöcke auch gekauft, einfach so aus Neugier, wie der nördlichste Rotwein der Erde schmeckte. Nur den Weinberg beschlossen die Frauen erst einmal für sich zu behalten. Wir hatten auch hier nichts dagegen.
    Die einzige Frage, die uns Sorgen machte, war, wie wir unseren neuen Garten erreichen würden. Es fuhren nämlich keine Züge nach Glücklitz, ja, es gab überhaupt keine öffentlichen Verkehrsmittel, die uns dorthin bringen konnten. Es gab zwar einen Bus, der aber nur auf Vorbestellung und selbst dann unregelmäßig zu einem Dorf in der Nähe fuhr. Selbst wenn wir diesen Bus benutzen würden, müssten wir die Grillanlage die letzten fünf Kilometer auf den Schultern tragen. Kurzum, man brauchte ein Auto, um in Glücklitz glücklich zu werden. Weder meine Frau noch ich besaßen jedoch einen Führerschein. Ich bin in einer Großstadt geboren und aufgewachsen, in Moskau, und verfügte von daher über keine Erfahrung mit dem Leben auf dem Lande, wo man sich nur mit dem Auto fortbewegen konnte. In der zehnten Klasse der sowjetischen Schule, als die meisten Mitschüler im Rahmen einer sogenannten »Berufsqualifizierung« ihren Führerschein machten, war ich gerade nicht anwesend. Und später war mir nicht mehr danach. Wozu braucht der Mensch schon ein Auto?
    Meine Frau träumte dagegen bereits seit Längerem vom schnellen Fahren und war schon in mehreren Berliner Fahrschulen bei den Prüfungen durchgefallen. Dazu muss gesagt werden, dass sie von eher zierlicher Gestalt ist. Den Prüfern gefiel nicht, dass sie zu wenig in den Rückspiegel schaute, zu wenig Abstand zu den vorbeifahrenden Autos hielt und zu wenig über die Schulter blickte. Ich glaube, meine Frau hatte damals einfach Pech mit ihren Fahrlehrern. Ich hatte bereits während meiner Dienstzeit bei der sowjetischen Armee einige Fahrzeuge gelenkt und wusste daher ungefähr, wie das ging. Ich hatte sogar den Schulterblick drauf. Obwohl vor unserer Kaserne insgesamt nur zwei Fahrzeuge standen, blieb die Wahrscheinlichkeit, dass sie eines Tages zusammenstoßen würden, immer gleich 50:50, hatte unser Vorgesetzter behauptet. Entweder sie kollidieren oder sie kollidieren nicht, sagte der Oberst immer wieder. Ich war mir nicht sicher, ob meine Armee-Erfahrungen mir helfen würden, die Fahrprüfung zu bestehen. Bei einem Berliner Führerschein geht es nicht nur darum, die richtigen Pedale im Fahrzeug zu treffen, sondern vorausschauend zu fahren, um den anderen überforderten Berliner Autofahrern keine zusätzlichen Schwierigkeiten zu machen.
    Die Wege der Menschen sind, wie Gottes Wege, unergründlich. Oft beginnt so ein Weg sehr weit vom Ziel entfernt. Unser Weg in den Garten begann mit dem Besuch einer Fahrschule. Meine Frau und ich gingen, ohne lange zu überlegen, in die nächstbeste Fahrschule, die sich in unserer Straße und nur drei Schritte von unserer Wohnung entfernt befand. Sie hieß »Fahrschule Milde« – trug also den Namen ihres Besitzers. Unser Fahrlehrer Martin, eine Seele von Mensch, war gelernter Bäcker und Konditor. Am liebsten backte er große Torten und hatte sich sogar mit einer eigenen Erfindung einen Namen in der Welt der Süßigkeitenproduktion gemacht. Martin hatte einen besonders feinen Kuvertüre-Schreibstift erfunden, eine Tube, mit der man auf großen Torten Geburtstagsgrüße, Namen oder einen ganzen Brief schreiben konnte, so deutlich und unverwüstlich, dass der Gruß oder der Name auch dann noch da waren, wenn die Torte längst gegessen war. Nach einigen Jahren Berufsleben stellte man bei Martin jedoch eine Mehlallergie fest, die ihm jede
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