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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus
Autoren: Petra Oelker
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    1. Kapitel
    Herbst 1764
    Das Mondlicht glänzte geheimnisvoll auf dem unbewegten Wasser der St. Aubin’s Bay. Für die Schmuggler war die Nacht viel zu hell. Die engen Felsbuchten und die versteckten Höhlen der schroffen Nordküste lagen verlassen. Die ganze Insel schien zu schlafen. Die Bauern in ihren geduckten Gehöften aus grauem Stein, die braunen Kühe auf dem Weideland unter den zahllosen Apfelbäumen auf der Hochebene und in den engen Bachtälern, die Fischer und Händler an der sanften Südküste.
    Ein einsamer Reiter trabte von St. Aubin über den meilenlangen weißen Strand nach St. Hélier am östlichen Ende der Bucht. Dort ragte Elisabeth Castle grau und trutzig aus den Uferfelsen. Nur in einem Turmfenster brannte ein trübes Licht.
    Claes Herrmanns saß am Tisch des Speisezimmers im Herrenhaus der Familie St. Roberts. Er sah hinaus auf die Uferlandschaft mit dem erleuchteten Burgfenster und dem Reiter im fahlen Licht des Mondes und fühlte sich wie auf einem fernen Kontinent. Er sah auf die Südküste einer kleinen Insel im Englischen Kanal, und der weite Blick über das Meer und die sanfte grüne Uferlandschaft mit dem Wehrschloss im Wasser waren so ganz anders als der Blick aus dem Fenster seines eigenen Hauses in Hamburg. Die alte Hafenstadt an der Elbe erschien ihm plötzlich sehr eng und stickig.
    «Und du, mein Freund, was sagst du dazu? Glaubst du, dass ein Kessel voll Dampf den Wind in den Segeln ersetzen kann?»
    Paul St. Roberts beugte sich ein wenig vor und blickte seinen Freund neugierig an. Die Diskussion um den Dampf war also immer noch nicht zu Ende.
    «Nun», Claes hob sein Glas gegen den hellen Schein der Kerzen, die in schweren Silberleuchtern auf dem Tisch standen, und betrachtete nachdenklich den aufglühenden Wein. «Ich weiß nicht so recht.» Bedächtig nahm er einen Schluck. «Sieh den Wein. Ein bisschen Flüssigkeit in einem Glas. Ruhig, ohne die Kraft, das Glas zu zerbrechen. Doch denk an die vielen Wasserräder, die seit Jahrhunderten die Mühlen antreiben. Denk an die Kraft des Wassers, wenn es mit der Ebbe alles ins Meer zieht, was sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringt, oder mit dem Sturm über unsere Küsten tobt. Wenn die Suppe kocht, hebt der Dampf den Deckel. Wenn man nun einen sehr großen Topf voller Dampf hätte, der ein sehr großes Rad antreibt – vielleicht könnte so ein Rad tatsächlich ein Schiff übers Meer schieben …»
    «Ah, mein lieber Claude», rief St. Roberts lachend und prostete dem jungen Mann im nachtblauen Samtrock am anderen Ende des Tisches zu. «Ihr habt einen Verbündeten. Seid nett zu ihm, er bringt seine Waren mit eigenen Schiffen über die Meere. Überzeugt ihn davon, dass Eure verrückten Experimente mit dem Dampf seine Säcke und Fässer schneller in den Hafen bringen, und Ihr bekommt vielleicht von ihm das Geld für Euren Traum von der Schifffahrt frei von den Launen der Winde.»
    Claes schüttelte den Kopf. «Da wendet er sich besser an euch Engländer und an seine eigenen Landsleute. Unsere Schiffe segeln nur durch die Nord- und Ostsee nach den nördlichen Eismeeren oder nach Süden durch die Biskaya bis nach Portugal. Ihr lasst uns ja nicht mit euren amerikanischen und indischen Kolonien Handel treiben. Den Reibach behaltet ihr für euch.»
    St. Roberts nickte vergnügt. «Da hast du recht, mein armer deutscher Freund. Wir achten hübsch eifersüchtig auf unseren Reichtum. Und seit euch unsere gierigen Nachbarn, die Franzosen, noch das fette Fassgeld aufgedrückt haben, wird euch der Import schön teuer. Trotzdem. Ich bin der falsche Mann für unseren jungen Marquis. Ich halte es mit Monsieur Vernoilli.»
    Er nahm mit sichtlichem Behagen eine Prise Tabak.
    «Und mit der Akademie der Wissenschaften in Paris.»
    Er nieste kräftig in ein Spitzentuch.
    «Die hat ihm einen Preis verliehen, weil er bewies, dass es absolut keinen Ersatz für den Wind gibt, wenn es um Schiffe geht. Ihr, mein junger Freund, seid ein Träumer.»
    «Aber das ist mehr als zehn Jahre her», versetzte Claude Marquis Jouffroy d’Abbans hitzig. «Die Welt bleibt nicht stehen. Und die Wissenschaft …»
    Claes lehnte sich zurück und hörte zu. Die lange Diskussion hatte ihn ermüdet. Er hatte Geschäftsverbindungen nach Frankreich, England, Portugal und Italien, fremde Sprachen gehörten zu seinem Alltag. Das Englische war ihm vertraut, seit er als junger Mann einige Jahre in London in der Lehre gewesen war, und auch das
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