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Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Titel: Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
Autoren: Wladimir Kaminer
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Auf zum neuen Garten!
    Seit ich in Deutschland bin, werde ich hier als etwas Besonderes, nämlich als Mensch mit »Migrationshintergrund« behandelt. Eigentlich schleppe ich diesen Hintergrund ein Leben lang mit mir herum. Früher in der Sowjetunion war ich ein Fremder, weil in meinem Pass unter Nationalität »Jude« stand, also etwas nicht ganz Dazugehöriges. In Deutschland bin ich zum Russen geworden. Als solcher werde ich toleriert oder geduldet, bewundert, verschmäht und manchmal auch integriert. Dabei ist ein Migrationshintergrund etwas, das alle Menschen besitzen. Sie sind dazu verdammt, ihr Leben lang immer wieder ihre gewohnte Umgebung zu verlassen, sei es die Schule, die Familie oder Mutters Bauch. Sie brechen aus, um in der Fremde das Glück zu suchen. Und wenn sie selbst zu faul zum Verreisen sind, werden sie vertrieben, vom Staat, von der Verwandtschaft oder von der klugen Mutter Natur. Sie weiß, wenn Menschen zu lange an einem Ort bleiben, geht dieser Ort kaputt.
    Auch die ersten Menschen wurden bekanntermaßen von Gott aus dem paradiesischen Garten Eden vertrieben, nachdem sie angefangen hatten, dort ihre Orgien zu veranstalten. Sicher fiel Gott damals diese Entscheidung nicht leicht, doch man kann ihn schon verstehen. Nicht auszudenken, wie der Garten ausgesehen hätte, wären die Menschen dort weiter geblieben. Sie zogen los, nahmen ein paar Pflanzen und die Schlange mit, ohne groß darüber nachzudenken, was genau passiert war. Sie lebten mal hier, mal dort. Doch schnell merkten sie, ganz ohne Garten macht das Leben keinen Spaß. Also fingen die Menschen an, überall wo sie sich ansiedelten eigene Gärten anzulegen. Sie nannten sie später Schrebergärten. An manchen Stellen gelang es ihnen beinahe, ihren eigenen Garten Eden auf Erden zu erschaffen. An anderer Stelle hatten sie Pech.
    Wir mussten unseren Schrebergarten nach vier Jahren abgeben. Wir hatten Probleme mit »Spontanvegetation«. Obwohl, was heißt hier Probleme? Es war ein Interessenkonflikt mit der Prüfungskommission des Schrebergartenvereins. Die Mitglieder dieser Kommission hatten klare Vorstellungen davon, wie jeder Garten auszusehen hatte. Sie wollten, dass alle Gärten gleich angelegt waren und die gleiche Anzahl von Bäumen und Büschen und Beeten hatten. Wir wollten in unserer Parzelle die Natur mitgestalten lassen, so kam es zu spontaner Vegetation. All unsere Einwände und Auslassungen über die Vielfalt der Welt und dass nicht alle Gartenanlagen unbedingt gleich aussehen sollten, dass nicht jeder schöne Garten aus quadratischen Beeten mit Nutzgemüse bestehen muss, hatten nicht gefruchtet. Im Gegenteil, wir hatten damit sogar noch Öl ins Feuer gegossen. Irgendwann sagte meine Frau, die sowieso die Hauptgärtnerin war, sie wolle ihren Garten nicht mehr zusammen mit der Prüfungskommission bestellen, sondern lieber alleine. Sie beschloss, einen richtigen Garten zu suchen, einen möglichst großen Landgarten draußen in Brandenburg, ohne Gartenverein und ohne Prüfungskommission. Einen Garten, in dem jeder in jede Richtung spontan vegetieren konnte.
    Gesagt – getan. Meine Frau recherchierte im Internet und fand ziemlich schnell das Gesuchte. Ein Haus mit Garten, in einem kleinen Ort namens Glücklitz, offiziell 300 Einwohner, gefühlt: 3. Das Haus stand direkt am Glücklitzer See auf einem Weinberg, der zum Haus gehörte, aber nicht zu verkaufen war. Die Verkäuferinnen, zwei Frauen, die sich rühmten, den nördlichsten Weinberg der Welt zu bestellen und den nördlichsten Rotwein der Erde zu produzieren, hatten das Grundstück selbst bebaut. Sie besaßen außer dem Weinberg noch ein Motorrad, drei Kinder, zwei Pferde und eine alte Mutter, die alle entweder kaputt beziehungsweise krank und auf fremde Hilfe angewiesen waren. Die beiden Frauen hatten sich sichtlich übernommen. Sie hatten ihren Traum vom Leben auf dem Lande realisiert, einiges dabei aber nicht berücksichtigt. Die Kinder mussten jeden Tag zur Schule, die Pferde zum Arzt, das Motorrad in die Werkstatt, und die alte Mutter konnte mit ihrem Rollstuhl auf dem Berg überhaupt nicht herumfahren. Eine falsche Bewegung und sie wäre ins Wasser gefallen. Glücklitz war eine von allen öffentlichen Einrichtungen befreite Zone, es gab dort weder Schule noch Arzt, von irgendeiner Motorradwerkstatt ganz zu schweigen. Es gab dort überhaupt keine Geschäfte, nicht einmal eine Bäckerei. Nur einen Friedhof, eine stets geschlossene Kirche und die freiwillige Feuerwehr, wo
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