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Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Titel: Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
Autoren: Wladimir Kaminer
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stecken. Hoffentlich löst sich meine Mutter im Schwimmbad nicht auf, sie wird wohl etwas länger auf mich warten müssen. Dadurch, dass Berlin zu einer Touristenmetropole geworden ist, kommt es häufiger als früher zu Staus. Viele Gäste, die die deutsche Hauptstadt mit dem Auto besuchen, kommen vermutlich aus Gegenden, in denen es keine Ampeln gibt. Wenn sie jetzt in Berlin eine Ampel sehen, bleiben sie sofort davor stehen und begaffen sie ausdauernd, selbst wenn die Ampel längst grün ist. Außerdem blinken sie gern links oder rechts, ohne dann auch in diese Richtung zu lenken, sie gebrauchen ihre Blinkanlage eher zu Illuminationszwecken. Die meiste Zeit im Winter ist es dunkel, man fährt auch tagsüber mit Licht, entweder es hagelt, regnet oder schneit. Dabei habe ich in meinem Superb ein besonders großes Schiebedach und kann mir ausmalen, wie es im Sommer sein wird, auf trockener Straße in der Sonne Brandenburgs zu unserem Garten Eden zu fahren.
    Von allen autofeindlichen Straßen ist meine am autofeindlichsten. An einem Ende ist sie wegen Bauarbeiten, die seit dem vorigen Jahrhundert andauern, eine Einbahnstraße. Am anderen Ende hat sie einen Tunnel, dazwischen liegen vier Kreuzungen, die alle unterschiedlich geregelt sind. Es gibt drei Fußgängerüberwege, eine Schule, zwei Kindergärten, das bereits erwähnte Stadion, und immer bleiben zwei bis drei LKW s gleichzeitig auf beiden Seiten der Straße zum Aus- oder Einladen stehen. Wer hier schnell durchkommt, dem kann keine Route der Welt Angst machen. Abends zu Hause angekommen, fühlte ich mich anfangs wie ein Taxidriver. Den ganzen Tag war ich damit beschäftigt gewesen, Fahrerfahrungen zu sammeln. Und wenn die Familie nicht zu Hause essen wollte, meinte ich:
    »Das passt gut, ich kann euch ins Restaurant fahren!«
    »Nein, nein, wenn du fährst, kannst du keinen Wein trinken, und dann hast du den ganzen Abend schlechte Laune«, meinte meine Frau. »Wir nehmen lieber ein Taxi und trinken schön.«
    Ich gab immer nach, denn Wein trinken ist natürlich auch eine gute Sache. Obwohl: Inzwischen weiß ich überhaupt nicht, was mir mehr Spaß macht, die Fahrerei oder die Sauferei. Beides gleichzeitig geht leider nicht.
    Die ersten Monate konnte ich kaum einschlafen. Sobald ich die Augen schloss, sah ich Scheibenwischer hin- und herwedeln, Häuser zogen am Straßenrand an mir vorbei, Ampeln wechselten die Farbe, die Wagen vor mir blinkten im Regen. Draußen wartete unser Eden auf uns, und das Tor zum Garten stand offen.

Kein perfekter Ort
    Aus Spaß suchte ich auf der Karte des Bundeslandes Brandenburg unser Dorf. Ich habe keinen Ort namens Glücklitz gefunden. Anstelle des Dorfes befand sich auf der Karte ein kleines grünes Dreieck umringt von einem hellblauen Pfad. Auch das kluge Navigationsgerät in meinem Škoda wollte die Adresse »Am Glücklitzer See 2« nicht wahrhaben. Sie existiere nicht, schrieb mir der Navigator und bot als Ausgleich ein Glücklischhagen in Schwaben an. Mein Ort schien nicht von dieser Welt zu sein.
    Ich hatte so etwas schon früher vermutet, als wir feststellen mussten, dass es keine Geschäfte und keine Reiseverbindungen zwischen Glücklitz und der Außenwelt gab. Doch wenn ich durch den Ort spazieren gehe, sehe ich nichts Irreales oder Mystisches, man trifft auf keine Gespenster, und es spukt nirgends. Gut, viele Häuser sind heruntergekommen, manche wurden offensichtlich schon vor Jahrzehnten von ihren Bewohnern verlassen, sie sind aber noch immer von innen versperrt. Aus manchem verlassenen Haus mit eingefallenem Dach kommt abends Rauch, vom Turm der geschlossenen Kirche läuten Glocken, die es dort gar nicht gibt, und manchmal hören wir einen traurigen Gesang aus dem Haus der freiwilligen Feuerwehr neben dem Friedhof. Am nächsten Tag ist die Erde auf einer alten Grabstätte fast immer frisch durchwühlt, und das ganze Dorf wirkt wie ausgestorben.
    Dafür ist man hier vor überflüssigen Gesprächen mit Unbekannten geschützt, und man kann sich nicht verirren oder verlaufen. Die Straßen in Glücklitz sind nicht wie in Großstädten nach längst verstorbenen Helden vergangener Zeiten benannt, deren Taten in Vergessenheit geraten sind, nicht nach den Schlachten, von denen keiner mehr weiß, wer sie eigentlich gewonnen hat. Nein, die Straßennamen in Glücklitz sprechen eine klare Sprache und haben einen konkreten Ortsbezug. Die Straße mit dem Friedhof heißt »Am Friedhof«, die freiwillige Feuerwehr hat sich ebenfalls
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