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Diesseits Des Mondes

Diesseits Des Mondes

Titel: Diesseits Des Mondes
Autoren: Asta Scheib
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sich dann an die Schreibmaschine. Rollläden verwehrten ihm den gewohnten Ausblick aus seinem Fenster. Mit Rücksicht auf den Schlaf der anderen zog er die ihm die Sicht begrenzenden Holzlatten nicht herauf. Sich in jeder Weise der Familie aufopfernd (für wen musste er denn schreibend Geld verdienen?), gelang es Krug schließlich, das längst überfällige Hörspiel doch noch fertigzustellen oder den Artikel über den österreichischen Schriftsteller, den eine Zeitschrift in Auftrag gegeben hatte. Am Abend werden die Faulen fleißig,sagte Krugs Mutter, und der Krug sattsam bekannte Spruch ärgerte ihn umso heftiger, je unproduktiver er sich selber fand.
    Jedes Mal, wenn Birke oder eines der Kinder, seine Mütter oder – schlimmer noch – alle gemeinsam das Haus verließen, wenn Krug ihnen aus seinem Fenster nachsah, wie sie das Gartentor öffneten, dann war es Krug, als gingen sie in ein Leben, das ihm versperrt war. Umso heftiger versuchte er dann, sich in dieses Leben, von dem er glaubte, dass es ihm zu entkommen drohte, wieder einzufädeln. Er verfiel dem Feuilleton einer Wochenzeitschrift und las Erinnerungen an Uwe Johnson, die ihn wiederum dazu verführten, dessen Roman
Mutmaßungen über Jakob
hervorzuholen; den liebte er besonders. Vielleicht, weil Jakob, Rangierer bei der Reichsbahn, in einer Welt lebte, die Krug aus seiner Kindheit gekannt hatte, in die Krug jedoch nur noch in seinen Träumen zurückkehren konnte. Eine Welt schimmernder Bahngleise, geheimnisvoll funktionierender Signallampen, heranrasender Lokomotiven. So wie Jakob war Krug mit seinem Großvater oft still unter einem grün leuchtenden Signalmast gestanden, verdeckt von der Donnerwand eines ausfahrenden Schnellzugs. Krug hörte den Lautsprecher: »Wird Zug drei-zwo-null angenommen? Ich wiederhole: Wird Zug drei-zwo-null angenommen?« Es hatte Krug als Kind jedes Mal mit Stolz erfüllt, wenn sein Großvater das Mikrofon einschaltete und durchsagte: »Drei-zwo-null bitte annehmen auf Gleis vierzehn.«
    Nur mühsam konnte Krug sich losmachen von den Gedanken des Erzählers, von Jakob, der den gleichen Beruf hatte wie Krugs Großvater. Als er
Mutmaßungen
über Jakob
ins Regal zurückstellte, fiel ihm Emily Brontë in die Hände, und er las zum soundsovielten Male in
Sturmhöhen,
bis ihm vor Spannung und Sichsträuben gegen diese Spannung ganz übel wurde. Was Krug auch las, es führte ihn so weit hinein in ein anderes Leben, dass er kaum ins eigene zurückfand. Krug kämpfte zäh gegen seine Umgebung, die seiner Arbeit feindlich war. Wenn ihn die Menschen, die mit ihm lebten, allein ließen, stürzten sich die Bücher auf Krug. Aber auch Zeitschriften, die er hortete. Alles schien ihm gleichermaßen spannend, zog ihn magnetisch an. Hatte Krug es geschafft, dem Geschriebenen abzusagen, verfiel er nicht selten dem Fernsehen. Unter dem Vorwand, wenigstens das Neueste vom Tage erfahren zu wollen, schaltete sich Krug von einem Programm ins andere, um schließlich vor einer Dokumentation über den deutschen Wald im vierzehnten Jahrhundert sitzen zu bleiben. Hörte Krug dann, dass jemand die Haustür öffnete, stellte er in Panik den Fernsehapparat ab und floh an seine Schreibmaschine, auf der er eiligst einen Satz heruntertippte, den er für solche Situationen bereits seit Jahren parat hatte: Wenn das Paket nicht zugestellt werden kann, bitte ich Sie, mir eine Unzustellbarkeitsmeldung zuzusenden. Diesen Satz konnte Krug jederzeit auf der Schreibmaschine herunterrasseln und so den Eindruck eines vollen Schreibflusses herstellen.
    Wenn es Krug nicht gelang, vor seiner ihn quälenden Untätigkeit in Bücher oder vor den Fernseher zu flüchten, hatte er immer noch das Telefon. Er las sein privates Telefonbuch von A nach Z und rief Freunde und Bekannte an, die auf diesen Anruf natürlich völligunvorbereitet waren und sich für Krugs Nöte auch nicht jedes Mal erwärmen konnten. Doch Krug wäre sicherlich immer mal wieder etwas wahnsinnig geworden, wenn er nicht die Möglichkeit gesucht hätte, diesem und jenem zu erzählen, dass er, Krug, nicht schreiben könne. Ich weiß nichts und ich kann nichts, sagte er einmal völlig aufrichtig und verzweifelt zu seinem Freund Herbert. Herbert war Chefreporter einer großen Tageszeitung, einer der wenigen Journalisten, die Krug bewunderte. Manchmal sogar beneidete. Krug las Herberts Reportagen und wünschte sich, er hätte sie selbst geschrieben, denn Herbert besaß Urteilsvermögen aus Kenntnis der politischen
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