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Diesseits Des Mondes

Diesseits Des Mondes

Titel: Diesseits Des Mondes
Autoren: Asta Scheib
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manchmal geradezu strahlend wirkte, fand Krug Birke selbstzerstörerisch. Sie, die rasch Menschen bezauberte, warf ebenso rasch Menschen wieder weg. So sah es jedenfalls Krug.
    Er dachte auch, dass Birke nicht einmal die Kinder liebe. Das Flügelschlagen, das sie vor allem um Mauritz machte, konnte Krug nicht irritieren. Er wusste, dass Birke sich die Kinder immer vom Hals gehalten hatte. Verborgen hinter rastloser Hingabe, mütterlicher Sorge um alles und für nichts verbarg sie Ungeduld, nervöse Verweigerung. Vor allem Danda nahm die Verwöhnung, die fast täglichen größeren und kleinen Geschenke mit der Selbstverständlichkeit der Überfütterten. Ihre stürmischen Umarmungen warentheatralisch und sonst nichts. Danda hatte schon früh ihr tückisches Lächeln, das Krug erschreckte, aber auch amüsierte. Manchmal fehlten ihm die fast täglich provozierten Szenen. Ums Nichtaufräumen, ums Nichtheimkommen, ums Nichtlernen. Ums Nichthaushalten mit dem Geld. Das Toben, Fordern und Türeknallen Dandas, mit dem Birke jetzt alleine war, das fehlte Krug manchmal.
    Mauritz, mit seinen achtzehn Jahren elf Monate jünger als Danda, war gefügiger. Scheinbar. Seine Vergeltung lag in der Verweigerung. Durch Zufall hatte Krug erfahren, dass sein Sohn in der Schule lediglich Verwandtenbesuche abstattete. Dass seine Versetzung gefährdet war. Als er Mauritz zur Rede stellte, zuckte der nur mit den Schultern. Was für eine Zukunftsperspektive er denn habe, wollte Krug von seinem Sohn wissen. Mauritz sah Krug erstaunt an. Meine Zukunftsperspektive? Das bist doch wohl du – und Mama, oder? Danda, die dem Gespräch bislang mit ihrem verachtungsvollen Schweigen gefolgt war, mischte sich ein. Wie sollen wir denn gedeihen, Mauritz und ich, wie sollen wir denn bei euch gedeihen? Ihr seid geschieden, ihr seid kaputt. Aus kaputten Beziehungen kommen auch kaputte Kinder, das weiß heute jeder.
    Seine Kinder kannten sich aus in der Nomenklatur des Lebens. Krug glaubte sie zu durchschauen. Er glaubte, dass er einer der wenigen Väter sei, die sich von ihren Kindern nicht täuschen und auch nicht enttäuschen ließen. Danda war eine Mistbiene, ein egoistischer Trampel mit einem derart großen Selbst, dass Krug sie manchmal darum beneidete. Ihr Tag bestand aus Forderungen, die sie so rigide eintrieb,dass Krug hinterher immer selber erstaunt war, dass man ihr wieder ihren Willen getan hatte. Das ist mein Recht, ich hab ein Recht darauf, so begannen ihre Argumente. »Ihr seid Kinderkaputtmacher« – das war lange ein Lieblingswort von ihr. Danda konnte als kleines Kind kein F aussprechen, sie setzte stattdessen ein P ein. Gingen Krug oder seine Frau mit ihr über eine Straße, ließ sie sich nicht an der Hand nehmen. Nicht anpassen!, schrie sie so verzweifelt und endgültig, nicht anpassen!, so dass man schließlich eine Dreijährige allein über eine stark befahrene Straße marschieren sah. Ich will nicht gezwiiiingt werden! Das war auch einer von Dandas Schreien. Dabei hatte sie erst sehr spät angefangen mit dem Reden. Offenbar hatte sich ihre Energie auf die Motorik ihres wendigen dünnen Körperchens konzentriert. Danda konnte mit elf Monaten laufen, sie steuerte sich mit strahlendem triumphierendem Lächeln und hocherhobenen Fäustchen durch die Räume, lief rasch und sicher und jagte bald die Kater Alka und Seltzer durch die Wohnung. Sehr früh schob Danda geschickt ihr Hinterteil vor, um die Treppen hinabzusteigen, sie kletterte wie ein Affe an dem Spalier im Garten, sprach aber kein einziges Wort. Gleichaltrige konnten längst Mama und Papa, nein, danke und heiß sagen, Danda nannte alles ging-gang. Und auch das nur, wenn sie einen sanften Tag hatte. Die Nachbarin warnte mit spitzem Zeigefinger. Das Kind muss zum Arzt, das Kind ist vielleicht taub und kann deshalb nicht sprechen. Das leuchtete Krug ein, denn Danda hörte offenbar wirklich nicht, jedenfalls ließ nichts in ihrem Benehmen darauf schließen. Sie tat unbeirrt, was sie tun wollte, egal, ob alle anderen schrien, nein,Danda, das darfst du nicht. Der Arzt stellte fest, dass Dandas Ohren völlig in Ordnung waren, dass die Eltern geduldig abwarten müssten. Irgendwann würde sie schon reden. So war es dann auch. Krug wusste es noch genau: Am 5.   Juli 1969, als Birke zum Abendessen rief und sie Danda suchten, geschah es. Krug, der die Tür zum Garten öffnete, sah sie oben auf dem Spalier hocken, in höchst unsicherer Position. Das Gesichtchen ängstlich und tückisch
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