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Diesseits Des Mondes

Diesseits Des Mondes

Titel: Diesseits Des Mondes
Autoren: Asta Scheib
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    Samstags gegen Mittag lichteten sich die Quartiere Münchens. Es war die Zeit der Sommerferien, die viele Menschen außerhalb der Stadt verbrachten. Sie drängten auch an den Wochenenden aus der Stadt hinaus, als wüte die Pest darinnen.
     
    Michael Krug hörte das Zwölfuhrläuten der Winthirkirche, das auch noch den letzten Range Rover hinaustrieb auf die Autobahnen Stuttgart oder Salzburg. Surfbretter wiesen Richtung Gardasee. Der Gemüsehändler fegte schwungvoll den Abfall zusammen.
    Eine zweite Glocke, mehr bimmelnd als läutend, begleitete die Menschen des Viertels auf eine andere Reise. Seit Michael Krug einmal ihrem Wimmern gefolgt war, hörte er sie täglich. Unter dem kläglichen Bimmeln war Krug mit seiner Frau und den Kindern auf den Kieswegen des nahen Westfriedhofs gegangen. Im wortlosen Gehen war das Aneinanderknirschen der Kiesel das einzige Geräusch unter dem dünnen Läuten. Sie hatten Micky begraben, die Tochter eines Kollegen von Krug.
    Letzten Sonntag, morgens gegen fünf Uhr, hatte Micky sich den letzten Schuss gesetzt. Ihr Vater hatte sie gehört, als sie heimkam in der Frühe. Er wusste schon lange nicht mehr, woher sie kam. Wütend und traurig hatte er sich auf die Seite gedreht.
    Eine große Trauergemeinde versammelte sich vor dem Westfriedhof. Krug ging mit Birke, Danda und Mauritz in einer Gruppe von Jungen und Mädchen, Mickys Klassenkameraden. Ein Mädchen trug einen Brief. Für Micky, las Krug auf dem Umschlag. Als sie Micky hinunterließen, krächzte ein Rabe höhnisch und verzweifelt. So schien es jedenfalls Krug.
    Als sie zurückgingen, hörte Krug, wie ein Mädchen zu seiner Tochter Danda sagte: Der Rabe war Micky. Sie hat uns alle ausgelacht.
     
    Wie immer am Samstag kaufte Michael Krug die Wochenendausgaben einiger Tageszeitungen. Jedes Mal stand er am Kiosk wie ein Hungriger, der alles in sich hineinstopft, obwohl er weiß, dass ihm davon schlecht wird. Zeitungen regten Krug auf. Er tat manchmal sogar vor sich selber so, als sei er einverstanden und zugehörig. Als habe er mitgewirkt an allem, was passierte. Er achtete darauf, niemals resigniert auszusehen. Auch wenn er Gewalt sah, Willkür der Mächtigen, dann suchte er unter allen Umständen den Eindruck zu vermeiden, als sei er ohne Einfluss. Krug war süchtig danach, bestätigend zu nicken. Bei einem Bericht aus Teheran kam er aus dem Takt: Bombenopfer dürfen die Täter vor deren Hinrichtung verstümmeln. In der iranischen Stadt Ghom kamen bei der Explosion einer Autobombe 13   Menschen ums Leben, 100 wurden verletzt. Vor der Hinrichtung der Täter am Ort des Verbrechens sollen die Opfer Gelegenheit erhalten, an ihnen Rache zu nehmen und sie zu verstümmeln. Diejenigen, die bei der Explosion eine Hand, ein Bein, ein Ohr oder ein Auge verloren haben, dürfen die Täter strafen, bevorsie exekutiert werden, sagte Informationsminister Mohammed Mahommadi Rei Schari. Auge um Auge, Zahn um Zahn.
     
    Krug hatte gelernt, ohne allzu große Erschütterung mit Zeitungen dahinzuleben. Gerade samstags und sonntags, wenn noch seine letzten Verbindungen zur Außenwelt abgeschnitten schienen, konnte er sich einüben in die Gelassenheit, mit der er der Übermacht der Ereignisse begegnete, die ihn bis in sein Zimmer verfolgten, manchmal jagten.
    Doch auch diese Verfolgungsjagd hatte Krug schon in sein Bewältigungsritual eingebaut. Er ließ sie an einem Tölzer Schrank enden, wo er seinem unstillbaren Bedürfnis nach Feierlichkeit nahekam. In einem halb vollen Glas Whisky konnte er Selbstzweifel und Rechtfertigung eines stillen Samstagmittags ertränken. Er legte die Brandenburgischen Konzerte auf.
     
    Krug dachte wieder an seine Frau. Sie war ein Bestandteil seiner Selbstbezichtigungen und seiner Sehnsüchte. Er wünschte sich Birke umso heftiger, je nachdrücklicher sie sich von ihm zurückzog. Daher gehörte es bald zu Krugs Ritual, dass er alle anderen Frauen seines Lebens ungeschehen machen wollte.
    Von allen Situationen war dies die unwiderrufliche: seine Frau am Strand von Elba. Sie schien – für andere unsichtbar – vorgeneigt im Kampf gegen ihre Hemmung, öffentlich nackt zu sein. Mit geschlossenen Schenkeln stand Birke da, und Krug bereute, dass er sich damals nicht auf sie gestürzt hatte. Doch er war blind und taub gewesen. Damals hatte er noch geglaubt,dass Birke ohnehin ihm gehöre. Sie war ihm vor Gott und den Menschen angetraut. Die Tatsache, dass Birke seine Ehefrau war, musste Krug taub und blind gemacht haben.
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