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Diesseits Des Mondes

Diesseits Des Mondes

Titel: Diesseits Des Mondes
Autoren: Asta Scheib
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Situation, dazu Stil. Er kam Politikern, Wirtschaftsmultis oder Playmates gleichermaßen neugierig auf die Spur, er verleitete seine Leser unaufdringlich zum Nachdenken. Allein das hob ihn vom Zeitgeist-Journalismus ab. Und Herbert war auch meistens bereit, Krug aus seinen häufigen Tiefs herauszuhelfen. Aber diesmal hatte Krug Herbert offenbar in einer Stresssituation angerufen. Denn als Krug Herbert mitteilen wollte, dass er, Krug, ein Nichts sei, eine Null, schrie Herbert in den Hörer: »Dann schreib doch, bitte, wie ein Nichts! Eine Null muss schließlich nichts beweisen.«
     
    Das erinnerte Krug an ein Gespräch, das er neulich mit einer Schauspielerin geführt hatte. Sie schwärmte von einem Regisseur, mit dem zu arbeiten ihr alles bedeute. Als es ihr einmal richtig schlecht gegangen sei, als sie geglaubt habe, nicht mehr arbeiten zu können, da habe dieser Regisseur ruhig zu ihr gesagt: Benutze es.
    Ein psychologisch kluger Weg, den Krug schon gehen würde. Einer Schauspielerin war es sicher möglich, Müdigkeit, quälende Unsicherheit, unbestimmte Trauer, das Gefühl des Nichtskönnens, des Nichtsseins, in eine Rolle hineinzutragen. In die der Maria Stuart vielleicht oder in die der Lotte aus Remscheid-Lennep von Botho Strauß. Doch wie sollte er, Krug, seine Schwäche in seinen
Kaiser von China
hineinschreiben, wenn er sich nicht einmal an die Schreibmaschine bewegen, abkommandieren konnte. Es war ihm, als griffen das Haus, die Morgenzeitung, der Briefträger, als griffe alles nach ihm, Krug, und hielte ihn vom Schreiben zurück. Allein die Post. Krug hörte schon, wenn der Briefträger die Klappe des Nachbarpostkastens zurückfallen ließ. Ein optimistisches Geräusch. Krug nahm aus der Hand des stets gebräunten, mit federnden Schritten sein Fahrrad schiebenden Postboten ein meist umfangreiches Bündel Post entgegen. Jedes Mal ein Versprechen, von dem in der Regel nur ein Haufen zerknülltes Papier übrig blieb. Immer mehr Briefe waren für Sharon. Krug mühte sich, nur auf die Adresse zu schauen, doch entging ihm nicht, dass neben Behördlichem häufig große Umschläge von feinstem Papier darunter waren, in der Schweiz abgestempelt. Sharons Großindustrieller. Der Name hinten auf dem Umschlag stand für Großindustrie, Bildersammlungen, Ländereien, auch wohl für Ehescheidungen, wenn Krug recht informiert war. Als Krug zum ersten Mal unweit des Hauses den flachen anthrazitfarbenen Sportwagen gesehen hatte, ein ihm unbekanntes Fabrikat, von dem ihm Mauritz (Mönsch, hast du den Schlitten gesehen) alle Einzelheiten mit ungewohntem Temperamenterklärte, damals hatte Krug dies Gefährt sofort mit Sharon in Zusammenhang gebracht.
    Sharon. Seit drei Monaten wohnte sie in Krugs Haus. Und in Krugs Hirn. So, wie das Haus sich zu verändern schien, seit Sharon da war, so veränderten sich auch die übrigen Bewohner. Jedenfalls schien es Krug, als seien seine Mütter verändert. Sie gaben sich zwar den Anschein, als bedeute es ihnen gar nichts, dass Sharon aus Israel kam, dass sie Jüdin war und in einem Nachtclub tanzte. Vielleicht wiesen sie noch abrupter als früher die forschenden Fragen Dandas und Mauritz’ ab, die sie naseweis und respektlos nannten. Sharon hingegen begegneten sie mit geradezu beflissener Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft.
    Sharons Existenz war auch für Birke Anlass, häufiger als früher in dem Haus zu verkehren, das sie seit ihrem Auszug möglichst gemieden hatte. Birke war ohnehin auf Menschen neugierig, doch für Sharon interessierte sie sich in besonderer Weise. Krug dachte manchmal, dass Birke in Sharon alles das sehe, was sie, Birke, niemals hatte sein können. Auch Danda bekam offenbar nicht genug zu sehen und zu hören von Sharon. Sie war nur wenig älter als Danda, knapp ein Jahr, doch sie hatte in Israel in der Armee gedient und war bald darauf nach Deutschland gekommen. Sharons Vorfahren waren deutsche Juden. Die Großmutter hatte ihr so viel von ihrer Heimat erzählt, dass Sharon irgendwann den Entschluss gefasst hatte, nach Deutschland zu gehen. Mauritz, der im nächsten Jahr Abitur machte und bereits für die Bundeswehr gemustert war, wollte von Sharon wissen, wie die Zahal, die israelische Armee, aufgebaut sei. Auch Danda sah Sharon im Panzer in der West Bank, mit anderenRekruten im Jeep durch Palästinensersiedlungen fahren oder in Flüchtlingslagern patrouillieren. Und diese Frau, die mit dem Gewehr und mit Handgranaten umgehen konnte, tanzte hier in einer Bar auf
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