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Diesseits Des Mondes

Diesseits Des Mondes

Titel: Diesseits Des Mondes
Autoren: Asta Scheib
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Herausforderung anzunehmen, das bedauerte Krug. Warum hatte er sich beschränkt auf einen derart kleinen Beobachtungsposten, von dem aus er die Welt betrachten, aber nicht verändern konnte?
    Von allen Etablissements, die Krug und Bertrams an diesem Abend aufsuchten, war das Number Six zumindest räumlich das kleinste. Eine nächtliche Imbissstube für erotisches Junkfood, die sich gar nicht erst die Mühe machte, die Art der Branche durch verspiegelte Wände oder Plastikbrokat zu verschleiern. Hier wurde sachlich die Ware Frau verkauft, und Krug konzentrierte sich auf sein Gespräch mit dem Geschäftsführer, in dessen Gesicht alle Erfahrungenseines Daseins mühelos abzulesen waren. Es hätte nicht der Rolex bedurft, des platinbesetzten Stiers im offenen Hemdausschnitt, nicht der heftigen Trussardi-Wolke, die bei jeder seiner Bewegungen aufstieg. Krug hörte kaum, was ihm der andere an Sprüchen hinwarf. Die strengen Kontrollen, die Wuchermiete, die der Hausbesitzer aus ihm rauspresse, all das hatte Krug längst von den anderen Pächtern gehört, nur ein Gesicht wie dieses hatte er nicht gesehen. Zerklüftungen der Brutalität und Gier, Schatten der Angst und der Tücke. Einer jungen Blondlockigen, die sich an ihn schmiegte, ihrer Favoritinnenrolle wohl nicht ganz sicher, drehte er im Gespräch mit Krug den Rücken zu. Krug sah die Mädchen, die Barfrauen und die Tänzerinnen, die in jedem Geschäft Verkäuferinnen hätten sein können, manche waren das früher auch gewesen. Krug sah, dass die Mädchen nach ihren Striptease-Auftritten in der Miene des Geschäftsführers vergeblich eine Reaktion suchten.
    Als jetzt wieder eine Tänzerin die kleine Bühne betrat, stieß Bertrams Krug mit dem Ellenbogen an. Offenen Mundes starrte der Fotograf auf das Mädchen, alle anderen Männer starrten ebenso. Reggaemusik erfüllte den Raum, das Mädchen öffnete die Arme, aber die Nacktheit ihrer olivfarbenen Haut war keine Preisgabe, ihr Tanz war Verweigerung.
    »Sie kommt aus Israel, aus Tel Aviv«, sagte eine Barfrau leise zu Krug. »Sie tritt zweimal auf, um zwölf und um drei, seitdem ist die Bude hier ab Mitternacht voll. Und sie hat hier Narrenfreiheit.« Letzteres klang nach Neid und Bewunderung zugleich. Was ging es Krug an? Was war geschehen, dass so ein Traum von einem Mädchen, wie Bertrams geradesagte, dass eine Tänzerin in einem Nachtclub Krug derart aufregte? Irgendetwas musste doch geschehen sein, warum sonst hätte Krug von der Tänzerin erwartet, dass sie verzweifelt sei? Ja, das war es. Krug suchte in dem Gesicht des Mädchens, in den sehr großen, sehr dunklen Augen, an der kräftigen geraden Nase, dem weichen, aufgeworfenen Mund nach Verzweiflung. Sie musste doch verzweifelt sein, dass sie hier tanzte, in diesem Schuppen. Doch warum erwartete Krug, dass die Tänzerin verzweifelt war?
    Als er mit Bertrams die Bar verließ, hatte er das Gefühl, als drücke er sich vor einer Verantwortung gegenüber diesem Mädchen. Er konnte nicht wissen, dass er die Tänzerin aus Israel sehr bald wiedersehen würde.
     
    Die Arbeit an der Nachtleben-Serie hatte Krug einige Tage von seinem Hörspiel-Manuskript abgehalten. Der
Kaiser von China
bestand bislang nur aus einzelnen halb fertigen Szenen. Es fehlte die Struktur, vor allem aber waren die Dialoge ohne jeden Glanz. Krug wusste das und wäre am liebsten aus sich selbst herausgesprungen, um jemand anderen in sich einzulassen, jemanden, der schreiben konnte. Schreiben und nicht nur Wörter aneinanderfügen. Wenn Krug versuchte, sich das schöne Chinesenmädchen Shin Lan vorzustellen, hatte sie das Gesicht der Tänzerin aus Tel Aviv. Ein strenges, starkes Gesicht. Krug konnte sich nicht vorstellen, dass dieses Mädchen einen Mann fragen würde: Bin ich schön? Jedenfalls würde sie es niemals so schüchtern fragen wie Shin Lan.
    Diese schöne Israeli, die in Krugs Vorstellung immer mehr präsent wurde, hätte niemals zu Shu Fugesagt: »Erzähl mir von den Festen bei Hofe. Was trugen die Damen, um dir zu gefallen, wonach dufteten sie? Waren sie schöner als ich?« Krug fand seine Dialoge jetzt albern. Das kleine Chinesenmädchen, von dem er schrieb, war unwissend und wollte von den Männern, die sie liebten, als Erstes wissen, was das Schönste an ihr sei.
    Nein, es hatte keinen Zweck. Krug konnte sich nicht auf sein Hörspiel konzentrieren. Er war wieder einmal erleichtert, als das Telefon läutete. Albert rief an: »Anna will, dass du zu uns herauskommst.«
    Ich kann aber
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