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Diesseits Des Mondes

Diesseits Des Mondes

Titel: Diesseits Des Mondes
Autoren: Asta Scheib
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nicht, wehrte Krug ab, jetzt zumindest nicht, ich muss in vier Wochen spätestens mit einem Manuskript fertig sein. Komm her und schreib bei uns, sagte Albert, wäre ja nicht das erste Mal. Anna lässt dir sagen, dass die Erdbeeren reif sind.
    Widerwillig, doch wissend, dass er in seinem Haus jetzt nur um die vollen Kochtöpfe seiner Mütter herumstreichen würde, packte Krug seine Schreibmaschine und einen Stoß Papier ins Auto und fuhr noch am selben Tag nach Niederbayern. Schon hinter dem Flughafen Riem, wo die Landschaft weit wurde und hell, schon hier wusste er, dass es richtig war, nach Schwarzeneck in Niederbayern zu fahren. Als er sein Auto nach der zweistündigen Fahrt in den Hof hineinfuhr, sah er Albert und Anna auf der buckligen steilen Wiese beim Heurechen. Sie winkten und arbeiteten weiter.
    Krug stellte seine Schreibmaschine auf dem Tisch unterm Fenster ab, legte Bücher und Papier bereit. Er konnte sich bei Anna und Albert ungeniert in zwei Räumen breitmachen, hatte sogar eine Badestube für sich. Früher, als der Bauernhof noch bewirtschaftetwurde, hatte das Haus für Anna und Albert, für ihre Kinder, für Verwandte und Gesinde Platz geboten.
    Jetzt lebten nur noch Anna und Albert auf dem Hof. Als Krug sie durchs Fenster beim Mähen sah, Anna mit ihrem großen Strohhut, beide mit den sicheren Bewegungen der gewohnten bäuerlichen Arbeit, da dachte Krug, dass sie die Schattenseiten ihres Daseins meist verleugneten. So derzeit Albert die Trauer um seine beiden Katzen, die die Nachbarn vergiftet hatten. Sie haben es nicht ertragen können, sagte Albert, dass Molli und Melli hergesprungen sind, wenn ich sie gerufen hab. So Anna, die an der Schublade des Küchentisches saß und zehn Tabletten schluckte. Morgens zehn, mittags zehn, abends zehn. Die Diabetes, weißt, die Knochen, weißt.
    Krug hatte Anna und Albert zum ersten Mal aufgesucht, als er eine Reportage schrieb über Niederbayern und seine Menschen. Krug hatte mit Industriellen gesprochen, mit Professoren, mit Künstlern und Bauern. Mit Anna deshalb, weil sie sich eines Tages an ihren Küchentisch gesetzt hatte, um ihr Leben in Schulheften aufzuschreiben. Diese vier Kladden hatte der Hausarzt einem befreundeten Verleger gegeben und der hatte daraus ein Buch drucken lassen. Denn Anna hatte beschrieben, wie sie als achtjähriges Kind durch den Kindbett-Tod ihrer Mutter in eine für die meisten Menschen unvorstellbare Erwachsenen-Existenz hineingestürzt wurde. In die Existenz einer Bäuerin. Anna, die Achtjährige, stürzte und hatte keine Zeit, sich aufzuraffen. Man holte ihr einen Schemel, damit sie in den Kochtöpfen rühren und in die Waschbutte reichen konnte. War das Kraut angebrannt oder das Geselchte nicht gar, gab es Kopfnüssevom Vater und Püffe von den großen Brüdern. Die kleineren Geschwister hingen Anna plärrend am Rock. Anna wurde gejagt, obwohl sie noch nicht laufen konnte. Sie wurde brutal niedergehalten von der Arbeit in Haus und Hof. In die Schule konnte sie nur selten gehen, wollte auch bald nicht mehr, denn sie wurde wegen ihrer mangelnden Fortschritte gehänselt. Immerhin lernte sie lesen und schreiben. Daheim lernte sie zu überleben. Unter den rohen Schlägen, den verzweifelten Wutausbrüchen des Vaters lernte Anna, sich in sich selbst zurückzufalten wie eine Blume am Abend. Sie lernte, innerlich Augen und Ohren zu verschließen, sich zu ducken unter das für sie Unbegreifliche. So blieb sie trotz allem Anna. Auch als sie später vom elterlichen Hof in fremde Dienste gegeben wurde und der fremde Bauer sie wollte. Der Hammel hat mich nicht gekriegt, sagte Anna. Obwohl sie als Arbeitsvieh gehalten wurde, war Anna nie Gebrauchsgut. Sie gehörte sich selbst. Ausschließlich.
    Und Anna heute? Entlastet von harter Arbeit, aus hoffnungsloser Armut zu Wohlhabenheit gekommen, ist sie doch immer Anna. Es erstaunt sie am allermeisten, dass ihre Schreibkladden jetzt ein Buch füllen, das bald dreihunderttausendmal verkauft wurde, in fremde Sprachen übersetzt. Dass sie, Anna, dafür einen Haufen Geld bekommt. Dass sie eingeladen wird, vor vollen Sälen zu sprechen. Sie kann wegen ihrer Diabetes nicht mehr lesen, will auch gar nicht, Anna hat nie in ihrem Leben ein Buch gelesen, aber den Leuten erzählen, wie es war, das fällt ihr leicht. Stell dir vor, sagte Anna, mir, die ich immer das Maul halten musste, mir hören studierte Leute zu. Annascheute sich auch nicht, in Talkshows zu erzählen, wie die Leute im Dorf es trieben.
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