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Diesseits Des Mondes

Diesseits Des Mondes

Titel: Diesseits Des Mondes
Autoren: Asta Scheib
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Kritiker den Krug mit seiner Rezension die Treppe runtergeschmissen hatte. Dass da einer mit krimineller Energie das Ergebnis vieler Jahre Arbeit beiseitewischte, das begriff Bertrams. Dass dadurch Leute manipuliert wurden, darangehindert, sich mit einem Buch zu beschäftigen. Da war er, Bertrams, froh, kein Schreiber zu sein. Er hätte diesen Kritiker verdroschen. Für so was war der Krug zu fein. Der hatte zu viel Respekt vor den Leuten. Nein, aus dem Holz war der Krug nicht. Seine Frau war ihm ja auch abgehauen mitsamt den Kindern. So ein ständig schreibender Ehemann und Vater ist sicher was Unmögliches – das konnte Bertrams sich vorstellen, so was hätte er auch nicht im Hause haben mögen. Als Ehegespons jedenfalls nicht. Und jetzt lavierte sich der Krug wohl so zwischen Trauer und Erleichterung durch.
    Er, Bertrams, kannte ein paar junge Frauen, die mit dem Krug was gehabt hatten. Krug-Geschädigte, hatte mal einer neidisch gesagt, als beim Bierbichler in Ambach einige Ehemalige zufällig an einem Tisch saßen. Doch der Krug ließ wohl in seiner stillen Art die Sau raus. Das vermutete jedenfalls Bertrams. Und es imponierte ihm.
    München leuchtet nicht mehr, dachte Krug, als er mit Bertrams durch den Hofgarten auf den Altstadtring fuhr. Und sofort ärgerte sich Krug, dass er ständig in Klischees dachte. Schade um das schöne Thomas-Mann-Wort, das längst allgemein wurde durch die, die sich damit ihre Jubiläumsreden verbrämten. Schließlich leuchtete München schon lange nicht mehr. In den Bürgerhäusern flammte das bläuliche Licht der Mattscheiben, roch es nach Lammschulter provençal. Hinter einigen Fenstern hatte Krug schon herumgestanden oder gesessen, bei Saltimbocca und Tiramisu. Man kochte französisch oder italienisch in München, gut italienisch. Nudeln selbst gedreht durch die Spaghettimaschine, Salatöl und Essig vonRosario oder mitgebracht aus Siena. Hinter dem Geschirr aus der Provence, den Weinen von Garibaldi, den Siebdrucken aus den Galerien an der Maximilianstraße hockten die Schulden bei der Bayerischen Vereinsbank, der Neid, die Missgunst. Dummheit suchte sich mit den Bestenlisten der Magazine zu tarnen, in den Sommerfestspielen der Stadt, mischte mit bei den Ränken der Stadtväter. Zwischendurch meinte Krug den Geruch der Penner wahrzunehmen, der Stadtstreicher aus der Pilgersheimer Straße. Er glaubte die Neurosen und Geschwülste hinter den Klinikfenstern zu ahnen, er dachte daran, was in ihm, Krug, womöglich an Karzinomen keimte und wuchs. Er dachte an Wissenschaftler, die vielleicht, so hoffte Krug, in diesem Moment mit Virus-Isolierungsverfahren des menschlichen Aids-Erregers beschäftigt waren. Krug dachte an die Kammerspiele, an
Troilus und Cressida,
an Sunnyi Melles, die er verehrte, begehrte: »Frauen sind Engel stets, geworben; Ahnung ist Lust, doch im Genuss erstorben.« Und: »Unzucht, Unzucht, nichts als Krieg und Liederlichkeit; die bleiben immer in Mode.« Krug dachte an seinen Freund, den Schriftsteller, der ihn vor einer Stunde angerufen hatte, um ihn einzuladen. Er hatte gesagt, dass in seinem Kühlschrank ein Karpfen sitze, von dem er annehme, dass er sich langweile. Wenn Krug Lust habe, könnten sie ihn gemeinsam kochen. Wie viel lieber wäre Krug zum Karpfenkochen gefahren. Die Zeit seines Freundes war ohnehin knapp bemessen, weil er berühmt war und ständig Menschen über ihn Filme zu drehen oder Dissertationen zu schreiben gedachten. Germanistik-Studentinnen, die mit ihm über Hölderlin diskutieren wollten, fanden sich nicht selten in seinemBett wieder. »Größeres wolltest auch du, aber die Liebe zwingt all uns nieder . . .« – so lasen sie halt zu Hause nach.
     
    Bertrams stellte den Wagen am Marstall ab. Er und Krug gingen die Maximilianstraße hinunter zum Kosttor. Der Himmel war orangefarben mit grauen Wolken, er gab der Straße etwas Pompöses, Kulissenhaftes. Passanten in Abendanzug und langer Robe hatten Theater oder Oper durchlitten, formulierten still ihre Eindrücke, die sie morgen weitergeben würden.
    Krug spürte, dass dieses orange Licht ihn in eine falsche Feierlichkeit versetzte, dass dieses Licht der Stadt einen Glanz verlieh, der süchtig machte nach anderen Metropolen. Paris, London, Rom, New York, Tokio. Krug hätte jeden Tag in einer anderen Stadt durch die nächtlichen Straßen gehen mögen. Dass sein Leben nicht ausreichen würde, in allen Städten der Erde zu wohnen, die nächtlichen Himmel zu sehen und die tägliche
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