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Dieses Buch gehört meiner Mutter

Dieses Buch gehört meiner Mutter

Titel: Dieses Buch gehört meiner Mutter
Autoren: Erich Hackl
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zu sein.
    Gegen Kriegsende schickte mich der Stefan
    mit ihr in den Wald. Sie sollte nicht sehen,
    wie er mit meinem Vater Zucker, Fett und Mehl
    in Fässern abfüllte und in der Wagenhütte vergrub.
    Dann gab es auch noch den Kurt aus Berlin,
    der uns nach dem Franzosen der liebste war.
    Eingezogen zum Volkssturm, davongelaufen.
    Er war siebzehn und hatte grellblondes Haar,
    Wimmerln im Gesicht und einen Riesenhunger.
    Wir machten ihm eine Eierspeis aus zehn Eiern.
    Als mein Vater einmal rief: »Kurt, zur Jausen«,
    kam er nackt bis auf die Unterhose angelaufen.
    »Wo«, fragte er. Er hatte verstanden, entlausen!
    Der Moritz wurde bald nach Hause geschickt.
    Dem Stefan mußten wir wie einem kranken Roß zureden,
    bis er sich endlich auf den Weg nach Frankreich machte.
    Den Zettel mit seiner Adresse verbrannten die Russen.
    Die Valja nahm sich, was sie finden konnte,
    noch bevor ihre Landsleute da waren, die Eroberer.
    Ich fürchte, es ist ihr zu Hause schlecht ergangen.
    Der Kurt kehrte nicht nach Berlin zurück.
    [86]  Er heiratete eine Kriegerwitwe mit Kind,
    wurde Arbeiter in einer Schraubenfabrik
    und baute sich ein Haus an der Donau.
    Nach Jahren hab ich ihn einmal besucht.
    Er saß in einem Rollstuhl und weinte.
    [87]  Herz ist gut.
    Grün ist auch nicht schlecht.
    Ein Grün-Zehner ist ein Brief.
    Schellen ist mehr eine Geldangelegenheit.
    Aber Eichel bedeutet Verdruß.
    Eichel-As ist ein Todesfall.
    Sie war eine ältere Frau, etwas korpulent. In Wels hatte sie eine Spedition betrieben, in Attened das Doppelbauerhaus gekauft. Dort wohnte sie mit zwei scheckigen Hunden und einer dreibeinigen Katze. Zweimal die Woche kam sie einkaufen, trank danach ein Viertel Wein, las die Zeitung und legte Karten. Wenn Zeit war, hab ich ihr zugeschaut. Dann habe ich es selber probiert.
    Dir steht eine große Freude durch einen guten Herrn.
    Dir steht eine schöne Reise mit einer blonden Frau.
    Dir steht ein Verdruß, aber er geht sich gut aus.
    Dir steht eine Krankheit, aber sie betrifft dich nur am Rand.
    Dir steht ein Todesfall. (Das sagte ich nie.)
    Als erster lief ich der Wagnerin über den Weg: »Geh Mitzi, schlag mir die Karten auf! Der Stefan, mir hat geträumt, er ist gefallen.« Aber der Stefan stand ganz nah bei ihr. Und hinter ihm stand der Grüne, die Reise. »Reg dich nicht auf, Wagnerin. Er ist eh schon da.« Sie schaute mich ungläubig an. Am übernächsten Tag sah ich den Stefan auf der Straße daherkommen, müde, verschwitzt und unversehrt. Der Urlaubsschein steckte im Tornister. Seine Mutter hatte nichts Besseres zu tun, als die Neuigkeit herumzuerzählen. Nicht, daß sich die Karten um zwei Tage geirrt hatten. Auch nicht, daß der Stefan gesund heimgekommen war. Sondern daß ich sein Kommen vorausgesehen hatte. Nicht vorausgesehen: bewirkt!
    Die nächsten waren die Rainbauern, die standen sich mit [88]  meinem Vater gut, da konnte ich schwer neinsagen. Der übernächste der Himmelbauer, der weit drinnen in der Einschicht hauste. Es wäre nicht recht gewesen, hätte er den weiten Weg umsonst gemacht. Dem stand das Eichel-As. Ich redete mich heraus. Sein einziger Sohn, der Hans, fiel kurz darauf.
    So ging es dahin. Ich traute mich bald nicht mehr unter die Leute. In Leonhard ließen sie mir schon über meinen Vater ausrichten: wann sie denn kommen dürften, zum Karten aufschlagen. Da wurde mir angst und bang, vor ihnen und vor mir selber. »Schluß jetzt«, sagte ich, und es war Schluß.
    Hin und wieder machte ich eine Ausnahme. Für die Minerl zum Beispiel und ihren Mann. Für den Edi und meine Schwägerin. Heimlich auch für den Hansl. Aber er ist meistens aus den Karten getreten.
    [89]  Ihn hatte ich von allen am liebsten.
    Lieber als die andern Geschwister.
    Lieber als die Tante Anna.
    Lieber auch als die Eltern.
    Es tat mir weh, als mir die Minerl
    nachher einmal einen Brief vorlas,
    den er ihr aus Rußland geschrieben hatte:
    »Mir geht es hier gleich besser als daheim.«
    Der Vater wies uns beiden
    immer die schwerste Arbeit zu.
    Das Holzführen im Februar,
    bei schwerem, nassem Schnee,
    in den das Gespann bis zum Bauch einsank,
    so daß wir uns mit ins Geschirr legen mußten.
    Eine Schinderei von früh bis spät,
    weil wir gegen seinen Willen
    die Nacht durchgetanzt hatten,
    ein einziges Mal und nie wieder.
    Es war der Vater, der ihm angeschafft hatte,
    im Verschlag neben dem Roßstall zu schlafen,
    für den Fall, daß die Rösser ledig werden.
    Im Winter sprossen Frostblüten aus der Mauer.
    Es
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