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Diebin der Zeit

Diebin der Zeit

Titel: Diebin der Zeit
Autoren: Vampira VA
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gegenüber dem, was sich hier wirklich abspielt.
    Was steht wohl in meinem Blick zu lesen?
    Auf jeden Fall Verräterisches, denn plötzlich streckt eine der Gestalten den Arm nach mir aus und stößt rauh hervor: »Die da! Nehmt euch vor dieser in acht! Sie verstellt sich! Sie tut bloß, als wäre sie uns verfallen ...!«
    Mir wird heiß und kalt zugleich. Ich gebe meine starre Haltung auf, mit der ich die Blutrünstigen zu täuschen versuchte, und wende mich der Tür zu, durch die ich gekommen bin.
    Die Frau, die mich in den Salon geleitet hat, mischte schon in dem orgiastischen Treiben mit, doch nun ist sie die Erste, die den lebendigen Trunk aus ihren Fängen gleiten läßt und sich mir entgegen-wirft.
    Ich reagiere ohne nachzudenken.
    Nachdem ich gesehen habe, wie die Besucherinnen mit den Gästen verfahren, weiß ich, was mir blüht. Diese Frauen sehen aus wie Ikonen des Bösen, und obwohl ich selbst ein Geschöpf bin, das eher der Dämmerung denn dem Licht zuzuordnen ist, obwohl ich die Moral der Menschen weder kenne noch teile, unterscheide ich mich doch von solchen Bestien!
    In den Monaten, die seit Prag verstrichen sind, habe ich gelernt, meine Sucht nach der Zeit anderer zu bezähmen. Ich nehme mir nicht mehr alles auf einmal, was die dunkle Flamme in mir zum Verzehr fordert, sondern stehle in kleinen Dosen, und so gehen unsere Gäste nicht sichtbar gealtert von dannen, sondern nur um soviel beraubt, daß sie ihre Schwäche mit der Manneskraft entschuldigen können, die ihnen bei uns abverlangt wurde.
    Doch jetzt bin ich in Bedrängnis.
    Jetzt bin ich ein in die Enge getriebenes Tier, das sich von seinen Jägern gestellt sieht!
    Mir bleibt kein anderer Weg, als zu entfesseln, was ich so mühsam im Zaum zu halten lernte.
    Auge in Auge mit der Furie, die auf mich zustürmt, stelle ich mir vor, wie ihre ebenmäßigen Züge vergreisen - wie die Glätte der Haut von Schluchten durchfurcht wird und sich Flecke bilden, wie sich die Zähne in ihrem Fleische lockern, das gerade noch glänzend vitale Haar spröde und brüchig wird .
    Ich stelle mir so vieles vor, was nicht in Erfüllung geht!
    Mein Wünschen, so sieht es aus, hat seine Kraft verloren. Unbeeindruckt wirft sich die Furie mir entgegen. Ihre oberen Eckzähne sind lang wie Finger. Sie schimmern und drohen wie mit Blutfäden überzogenes Elfenbein.
    Mein Verstand nimmt vorweg, was gleich geschehen wird - und was ich nicht mehr aufzuhalten imstande bin: Diese Zähne werden mich durchbohren, ohne Gnade, nicht sacht und gefühlvoll wie die Haut jener Männer, die glotzend dahocken, liegen oder knien, sondern mit sich entladendem Zorn auf die Betrügerin - auf mich. Meine Kehle wird zerfetzen. Ich werde noch sehen, wie mein Blut nach allen Seiten spritzt, werde .
    Das Gewicht der Furie reißt mich zu Boden. Spitze Klauen graben sich in meine Arme. Der Schmerz ist erst grell, dann strahlt Taubheit von diesen Stellen aus, und dann kommt etwas wie das Maul eines Hais auf mich zu.
    Vor meinen Augen zerfällt die Welt.
    Ich sterbe, und so werde ich nie erfahren, welches Geschick mich vor die Tore Prags verschlug.
    Oder warum der Tod, der hungrig jeden Menschen frißt, ausgerechnet diese Kreatur verpönt!
    Es ist ausssssss ...!!!
    *
    stille. alles erlischt. jede regung außerhalb meiner selbst stirbt, und für eine unbestimmbare spanne ähnelt dieser salon mit seinen anwesenden einem gemälde, in dem nur ein einziges ding stört: ich! ich scheine als einzige nicht in dieses bild hineinzupassen, ich bin der fremdkörper, der anachronismus! ich weiß nicht, ob ich dem, was hier passiert, trauen darf. vielleicht wurde ich sterbend von einem traum in den nächsten geschleudert. oder dies ist der tod. oder ...
    *
    Ich stoße das gnadenlose, seine Zähne bleckende Ungeheuer von mir.
    Was für eine Art Uhr mag in seinem Alptraumkörper ticken, daß er mir so entschieden Widerstand zu leisten versteht?
    Benommen erhebe ich mich. Alles um mich herum ist inmitten des Treibens erstarrt. Nur ich bewege mich, niemand sonst.
    Mein Leben war nie unwirklicher als in dieser Stunde. Ich suche nach Dianne - und finde die Geliebte. Wie gelähmt starre ich zu ihr hin. Nur zögernd sickert in mein Bewußtsein, daß sie zu einer alten Frau geworden ist - zu einer uralten .
    War ich das?
    Mir wird übel, denn vor dieser Einsicht gibt es kein Entfliehen, und Dianne ist nicht mein einziges Opfer. Jeder Mann und jede Frau im Salon ist von einem Atemzug zum anderen um Jahrzehnte gealtert -
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