Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diebin der Zeit

Diebin der Zeit

Titel: Diebin der Zeit
Autoren: Vampira VA
Vom Netzwerk:
nach drüben. Das erste Boot legt frühmorgens, sobald das Stadttor geöffnet wird, ab. Danach folgt jede Stun-de ein weiteres, bis zum späten Abend, wenn das Tor wieder schließt.
    Die Stadt scheint vom Terror, der draußen in der Welt tobt, nur insofern berührt zu sein, als sich Kriegsschiffe im Hafen tummeln. Seit die Feindschaft mit der spanischen Seemacht eskaliert ist, verläßt kein Handelsschoner die Bucht mehr ohne Eskorte. Nach überall hin laufen die schwerbeladenen Schiffe aus, und nicht wenige zieht es nach Nieuw Amsterdam und Nieuw Nederland, das sind die Namen der Festung und jungen Kolonie, die von der Westindischen Kompanie an der Südspitze der Insel Manhattan gegründet wurden. Zehn Jahre, sagt Dianne, ist das erst her. Aber in diesen zehn Jahren haben wohlhabende Amsterdamer Kaufleute ein Vermögen investiert, um diesen Fixpunkt am anderen Ende des Ozeans zu erkunden und auszubauen. Viele sehen ihre Zukunft dort.
    Ich nicht.
    Ich sehe überhaupt keine Zukunft. Ich lebe von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, und kann selbst nicht erklären, warum mein Verstand nicht in der Lage ist, Pläne zu schmieden, die über den jeweiligen Tag hinausreichen.
    Vielleicht kennt etwas in mir mein Geheimnis, und vielleicht hat es recht, wenn es mir kein Leben zubilligt, das lange genug währen wird, um Visionen oder auch nur Hoffnungen damit zu verknüpfen Es ist Abend. Der Herbst war kurz, und der frühe Wintereinbruch hat alle überrascht, die den Jahreszeiten Bedeutung beimessen. Draußen auf den Dächern und Straßen liegt der Schnee weiß wie das Linnen, in das man Tote zur letzten Ruhe bettet. Noch ist der Kanal eisfrei, aber niemand weiß, was kommen wird, wenn sich die grimmige Kälte fortsetzt.
    Cees ist schon seit Wochen fort. Er ist offenbar nicht dafür geschaffen, lange am selben Ort zu verweilen.
    Und ich?
    Seltsam, aber darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht - ich tue es auch jetzt nicht.
    Das Haus ist trotz der schlechten Witterung gut besucht heute, dennoch habe ich mich aus dem Salon gestohlen, um ein wenig für mich zu sein. Ganz für mich. Nicht einmal Dianne möchte ich jetzt in meiner Nähe haben. Diese Momente überwältigen mich von Zeit zu Zeit. Dann brauche ich nur Wände um mich herum, keine Menschen.
    Es ist immer dasselbe: Ich hadere mit mir selbst. Mit der Frage, wer - nein, was - ich denn nun eigentlich bin. Manchmal vermag ich es tagelang zu verdrängen, was mich von Dianne oder den anderen unterscheidet, die mich hier umgeben. Ich bin anders - und das auf eine so entsetzliche und fordernde Weise, daß ich mich bisweilen aus dem Fenster stürzen möchte, um diesem Spuk ein Ende zu bereiten.
    Vielleicht ist es die Angst, mich dort unten wieder von dem steinernen Pflaster zu erheben und dann noch unmenschlicher zu sein als jetzt, was mich davon abhält.
    Ich habe getötet, und das ohne jegliche Gewissensbisse, was den Verdacht erhärtet, daß ich gar kein Gewissen besitze. Zumindest kein solches, das wert zu erwähnen wäre.
    Woher komme ich? Wer hat mir dort draußen auf dem Feld zu Prag Leben eingehaucht? Einen Körper belebt, der in den ersten Tagen und Wochen sonderbar gläsern - durchscheinend - wirkte, so daß ich als Hexe verfolgt und verhört wurde?
    Ich allein weiß, daß ich keine Hexe bin.
    Ich bin weit Schlimmeres als das. Und ich erhielt meine Freiheit von etwas zurück, das noch wüster ist als ich. Noch fremder. Noch verschlagener und um seiner selbst bedacht, ohne Rücksicht auf die, die neben ihm existieren .!
    Aber wie verträgt sich das mit meinem Verhältnis zu Dianne?
    Ein halbes Jahr nach Prag besitze ich nur noch verschwommene Erinnerungen an die Gefühle und Einsichten, die mein Befreier in mir weckte.
    Mein Blick treibt hinaus in die Winterlandschaft, die wie ein düsteres Gemälde wirkt. Mond und Schnee erhellen die Nacht draußen, nicht aber die Nacht in mir.
    Ich seufze, und gerade will ich meine Augen dem Zimmer, in dem ich stehe, zuwenden, als ich etwas bemerke, was mich stocken läßt.
    Die Geflügelten scheinen aus dem vollen Mond heraus zu kommen.
    Plötzlich sind sie da! Größer als Vögel, ihre Schwingen glatt und ohne Federn - nackt .
    Sie scheinen genau auf mich herabzustürzen, doch als sie das Gebäude in der Herengracht, an dessen Fenster ich wie erstarrt stehe, beinahe erreicht haben, korrigieren sie ein wenig ihren Flug .
    ... und entziehen sich meinen Blicken seitwärts, nach rechts.
    Ich weiß nicht, warum, aber ich reiße das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher