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Die zweite Nacht

Die zweite Nacht

Titel: Die zweite Nacht
Autoren: Natalie Rabengut
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war nachts wach. Es sollte kein Problem sein, wenn ich ihn jetzt belästigte – es sei denn, ich würde ihn beim chatten auf scharfethaigirls.org stören, das hatte er nicht so gern.
    Aber das musste ich wohl riskieren, wenn ich meine Steuern noch erledigen wollte. Eines Tages würde ich mit einem wütenden Pulk von Menschen, allesamt bewaffnet mit Mistgabeln und Fackeln, das Büro der Programmierer ausfindig machen, die diesen Scheiß für das Finanzamt verzapft hatten, und es anzünden. Ich musste mich an diese Vorstellung klammern, jeden Monat aufs Neue.
    Ich schwang die Beine von der Couch und rappelte mich auf. Barfuß und nur mit diesem Kleidchen bekleidet machte ich mich auf den Weg zu Karl.  
    Leise zog ich meine Wohnungstür zu und stand mit dem Schlüssel in der Hand auf dem Flur. Karls Tür lag meiner direkt gegenüber und ich klopfte nachdrücklich gegen das Holz. Er erkannte mich schon an der Art, wie ich klopfte. Forsch sagte er immer dazu; ein forsches Fräulein nannte er mich am liebsten.
    Nachdem ich Schritte hörte, war ich erleichtert. Es war zwar noch nie vorgekommen, aber   gerade heute wäre es extrem ungünstig, wenn Karl nicht da gewesen wäre. Die Tür schwang auf und statt in Karls wässrige Wieselaugen sah ich vor eine breite Männerbrust. Irritiert trat ich einen Schritt zurück, Karl war eigentlich genauso groß wie ich.
    Unzählige, furchtbar lästerliche Worte schossen durch meinen Kopf, während ich den Mann aus der Eingangshalle betrachtete. Hatte Karl etwa derart attraktive Verwandte?  
    Er schien genauso verblüfft zu sein wie ich und blickte auf mich herunter. Offenbar war er mittlerweile auf dem Weg ins Bett, denn er trug eine tief auf den Hüften sitzende Pyjamahose und ein verwaschenes, enges T-Shirt. Irgendetwas an ihm sorgte für ein Prickeln in meinem Unterleib und ich überlegte flüchtig, ob ich mein Genre wechseln sollte – Erotikromane zu schreiben erschien mir plötzlich recht verlockend.  
    Mein Aufzug fiel mir wieder ein und ich hoffte, dass seine Freundin nicht gleich mit einem Küchenmesser bewaffnet neben ihm aus dem Boden wachsen würde.
    Schließlich erinnerte ich mich daran, warum ich überhaupt geklopft hatte. »Wo ist Karl?«
    »Wer?« Er runzelte die Stirn.  
    Seine Stimme sorgte dafür, dass meine Zehen sich krümmten. Dunkel und samtig bescherte sie mir eine Gänsehaut auf dem Rücken, die langsam meinen Nacken empor kroch.
    »Karl, der Bewohner dieser Wohnung?«, fragte ich nach und versuchte, nicht allzu sehr so zu klingen, als würde ich ihn für schwachsinnig halten. Er musste doch wissen, wo er sich gerade befand.
    »Hässliche, schlecht sitzende Trainingsanzüge aus den 80ern und furchtbar unhöflich, irgendwie unsympathisch?« Der Blonde musterte mich eindringlich, als könne er sich nicht vorstellen, dass ich freiwillig mit Karl reden würde. Wenn man ihn so beschrieb, konnte ich mir es allerdings auch nicht vorstellen.
    »Genau«, erwiderte ich knapp. Ich hatte schließlich nicht den ganzen Abend Zeit.
    »Thailand. Ist wohl ausgewandert, wenn ich das richtig verstanden habe.«
    Meine Augen wurden groß und ich war bereit, Gift und Galle zu spucken. Ich mochte es nicht sonderlich, wenn die Dinge nicht liefen, wie ich mir das vorstellte. Genervt rieb ich mir über die Stirn und überlegte, was ich jetzt tun sollte.
    Ohne noch etwas zu sagen, drehte ich mich auf dem Absatz um. Es war doch noch gar nicht so lange her, dass ich Karl gesehen hatte. Zwei oder drei Wochen vielleicht? Da hatte er nichts davon erwähnt, dass er auswandern wollte. War es denn zu viel verlangt, dass er mich vorher wenigstens fragte?
    Die Stimme des Mannes riss mich aus meinen Gedanken. »Das war es schon? Was wolltest du denn von ihm?«
    Genau genommen ging ihn das nichts an, doch da ich ihn gestört hatte, wollte ich mal nicht so sein. »Karl war so freundlich, meine sexuellen Gelüste zu befriedigen, wenn mir danach war.« Dazu warf ich ihm einen übertrieben süßlichen Blick zu.
    Ich dachte, dass ihn meine Antwort irritieren und verschrecken würde, doch stattdessen wurde mir jetzt erst der interessierte Ausdruck in seinen Augen bewusst. »Trete ich also mit dieser Wohnung dieses schwerwiegende Erbe an? Ich glaube, eine solche Form der Nachbarschaftshilfe kann ich guten Gewissens anbieten.«
    Für einen Moment blieb mir die Luft weg. Schüchtern war er schon mal nicht, um eine mögliche wütende Freundin brauchte ich mir dann wohl keine Sorgen machen. Und er sah
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