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Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen

Titel: Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
Autoren: Tanja Heitmann
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    Sternenleuchten
    Mila
    Es war nicht gerade einfach, Samuel Bristol zu übersehen. Allerdings lag das weniger an seinem Äußeren - obgleich er meiner Meinung nach umwerfend aussah mit seinem Strubbelhaar, den meerfarbenen Augen und seinen breiten, aber etwas hageren Schultern, als hätte er den Schuss in die Höhe, den er vor einiger Zeit gemacht hatte, noch nicht richtig ausgeglichen. Was man seinen Bewegungen allerdings längst nicht mehr ansah: Die waren voller Anmut, auch wenn ich wohl die Einzige war, die Sam mit diesem Wort beschreiben würde. Aber ich fand, es passte. Alles an ihm war anmutig, selbst wenn er einfach nur mit den Jungs beisammenstand und herumalberte.
    Doch es war weniger sein Aussehen als vielmehr seine Aura, wegen der sich ihm alle Blicke zuwandten, sobald er einen Raum betrat. Eine Tatsache, die er nach Kräften zu ignorieren versuchte. Nutzlos. Jeder geriet in den Bann von Sams Aura.
    Seit ich vor einigen Jahren mit meiner Familie in den Küstenort St. Martin gezogen war, hatte ich mir den Kopf über seine unvergleichliche Ausstrahlung zerbrochen. Als ich Sam zum ersten Mal sah, erschien er mir wie ein Lichtstrahl, so hell, dass alles um ihn herum verblasste. Gleißendhell und wunderschön. Die Welt stand still. Er ging mit einigen Leuten aus seinem Jahrgang über den Schulflur, also eine denkbar unspektakuläre Kulisse für einen solchen Moment. Er tat auch nichts weiter, als einfach an mir vorbeizugehen. Doch ich stand da wie gebannt. Ich konnte anschließend nicht einmal sagen, ob er mich überhaupt bemerkt hatte. Warum auch? Als elfjähriges Mädchen segelte ich schlicht unter dem Radar dieses zwei Jahre älteren Jungen durch, der ohnedies auch noch gut und gern eineinhalb Köpfe größer war als ich.
    All dies änderte jedoch nichts daran, dass ich verzaubert war. Wirklich und vollkommen verzaubert. Sam war eine Erscheinung, die ich mit nichts anderem vergleichen konnte. Und das Verrückte daran war, dass ich das keine Sekunde lang in Frage stellte.
    Nun ja, ich war damals gerade ausgesprochen empfänglich für alles Wunderbare. Mein Regal voller Bücher über Meerjungfrauen, Elfen und Waldtrolle war der beste Beweis dafür. Außerdem war mein Blick auf die Welt ohnehin anders als der anderer Mädchen meines Alters. Meine Mutter führte das auf meine kreative Ader zurück. Ich konnte Einzelheiten besonders gut erkennen, was mir vor allem beim Malen entgegenkam. Der Haken an der Sache war, dass mir gelegentlich Details so sehr ins Auge stachen, dass ich den Blick fürs Ganze verlor. Manchmal erkannte ich also ein Haus nicht wieder, konnte dafür aber bis ins Kleinste den Türgriff beschreiben. Oder das Gesicht eines Lehrers bestand in meiner Erinnerung nur aus seiner Nase, die konnte ich dafür allerdings blind zeichnen. »Selektive Wahrnehmung« nannte mein Vater das. Klingt nicht besonders schmeichelhaft, es erklärt jedoch zumindest, warum ich jahrelang einzig das helle Strahlen wahrgenommen habe, das Sam umgab, es aber niemals wirklich verstand. Kein anderer Mensch machte je einen solch starken Eindruck auf mich wie Samuel Bristol.
    Noch etwas anderes bestätigte meinen Eindruck, dass diesen Jungen etwas Magisches umgab: Mein fast drei Jahre älterer Bruder Rufus war ihm ebenfalls erlegen. Nicht dass Rufus das jemals zugegeben hätte - lieber wäre er tot umgefallen. Mein Bruder gab viel auf Coolness. Mit seiner unnahbaren, oft auch abfälligen Art machte er überall Eindruck. Ich selbst konnte das nie wirklich begreifen. Weshalb war jemand so heiß begehrt, der sich dermaßen abweisend verhielt? Vielleicht lag es daran, dass ich Rufus morgens beim Frühstück gegenübersaß, wenn seine dunklen Locken in alle Himmelsrichtungen abstanden und es ihm kaum gelang, den Löffel mit den Cornflakes gerade in den Mund zu schieben. Jedenfalls war Rufus nicht die Sorte Junge, die es nötig hatte, irgendjemanden anzuhimmeln. Nur bei Sam versagten seine Abwehrsysteme. Um seine Freundschaft bemühte Rufus sich wirklich. Allerdings brauchte er nach unserem Umzug nach St. Martin sage und schreibe schlappe zwei Jahre, um Sam als Freund zu gewinnen.
    An dem Nachmittag, an dem ich zum ersten Mal von Rufus’ neuer Freundschaft hörte, saß ich auf meinem Bett, das ich unter das große Fenster geschoben hatte, obwohl mich deshalb morgens das Sonnenlicht kitzelte. Dafür brauchte ich nur vom Kissen aufzublicken und sah in den Garten, den meine Mutter seit unserem Einzug in ein verwildertes Kunstwerk
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