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Die zweite Kreuzigung

Die zweite Kreuzigung

Titel: Die zweite Kreuzigung
Autoren: Aufbau
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die Kultstätte sich ihnen Stück für Stück öffnete, als sie den Strahl ihrer Lampe darüber hingleiten ließ, der bald Sitzreihen, bald die Bima, dasLesepult, und schließlich ein goldenes Kreuz enthüllte. Vielleicht bildete sie es sich nur ein, aber sie glaubte einen Hauch von Weihrauch zu riechen – vielleicht Myrrhe oder Sandelholz, Ambra oder Opopanax des Salomo.
    Da erklang aus dem Dunkel eine Stimme, die ihr bis ins Mark drang.
    »Günther? Was machen Sie da?«
    Ihre Hände wurden eiskalt und ihre Finger zitterten, denn jeden Moment konnte auf sie geschossen werden. Sie blickte sich um und bemerkte, dass Marta sich ins Dunkel zurückgezogen hatte. Sie hoffte, die junge Frau werde sich an ihre Verabredung halten. Der Posten war ein Schatten, aber er hielt den Strahl seiner Taschenlampe voll auf sie gerichtet. Sie hörte ihn fluchen. Rasch öffnete sie ihre Jacke und warf sie ab. Mit weichen Bewegungen zog sie den dicken Pullover aus, ließ auch ihn zu Boden fallen, öffnete ihren Büstenhalter und schob ihn zur Seite.
    Ihr nackter Oberkörper erzielte exakt die Wirkung, die sie erwartet hatte.
    »Warum kommst du nicht näher?«, fragte sie, inständig hoffend, er möge genug Englisch verstehen.
    Ob der Mann sie nun verstand oder nicht, er beschloss, den Striptease zu seinen Gunsten zu deuten.
    Sie ließ sich zu Boden gleiten, und während sie das tat, trat er an sie heran und tauchte ihr nacktes Fleisch in grelles Licht. Der Mann war hingerissen von ihren Brüsten und dem, was sie ihm versprachen. Er kam ihr ganz nah, hockte sich neben sie und langte nach ihr, um sie an sich zu ziehen. Sie spürte, wie Panik in ihr aufstieg. Schon waren seine Hände auf ihren Brüsten, auf ihrem Bauch und griffen nach ihrem Schoß. Dann glitten sie plötzlich ab. Er stieß einen Laut aus, der zu einem Stöhnen wurde. Sie packte dieTaschenlampe, die er hatte fallen lassen, und richtete sie auf ihn. Hinter ihm stand Marta, und ihr Schwert ragte aus seinem Bauch. Er lebte noch, stellte aber keine Gefahr mehr dar.
    Ihr Herz schlug wie wild. Mehrere Minuten lang schnappte Sarah nach Luft und suchte ihrer Panik Herr zu werden. Marta half ihr auf und drückte sie fest an sich, das Schwert immer noch in der einen Hand. In Sarahs Kopf drehte sich alles, sie konnte nicht klar denken. Sie wusste, dass sie dem Ganzen einen Sinn geben musste. Wenn sie recht hatte, war Aehrenthal jetzt dort unten mit dem letzten seiner Männer.
    Sie schaute sich noch einmal um, um sicherzugehen, dass sich nicht irgendwo noch ein weiterer Posten im Dunkel verbarg. Als der Strahl ihrer Lampe über die Türen hinauf zur Bima und den Gesetzestafeln glitt, unterdrückte sie einen Schreckensschrei. Aber Marta neben ihr schrie laut auf. Mitten in dem Raum, wo die ersten Erbauer der Synagoge einst gebetet hatten, lagen die Leichen der Frauen wild durcheinander, die in dem Gebäude die bevorstehende Hochzeit gefeiert hatten. Sarah fiel die Salve aus der Maschinenpistole wieder ein, die sie gehört hatte. Damit waren die Frauen niedergemäht worden.
    Die beiden traten an die Toten heran, deren Blut noch durch die Kleider sickerte, fühlten einen Puls hier und lauschten auf einen Atemzug dort, pressten ihre Finger gegen Handgelenke und an Kehlen, bis sie drei Frauen fanden, die noch lebten. Wie nahe sie dem Tod bereits waren, konnten sie nicht sagen.
    Mit großer Mühe lagerten sie die drei in sitzender Stellung an einer Wand. Sarah wusste nicht genau, ob sie richtig handelten, aber so war es leichter, sie zu identifizieren.Sie hoffte immer noch verzweifelt, dass Ethan und die anderen die Oase endlich finden würden. Marta flüsterte sie zu, dass Hilfe unterwegs sei. Die nickte, stellte aber keine Fragen. Sarah dachte bei sich, dass man hier mitten in der Wüste gelernt hatte, nicht auf Hilfe von außen zu hoffen. Wenn der Stamm einem nicht half, dann konnte man sich nur noch auf sich selbst verlassen.
    Dann bemerkte sie, dass Marta leise vor sich hin schluchzte. Sie war in Tränen aufgelöst, suchte aber jeden Laut zu unterdrücken. Die Toten waren für sie keine Fremden, sondern ihre Freundinnen und Verwandten. Sarah legte ihre Hand auf die der jungen Frau. Nach fünf Minuten nahm Marta die Hand vom Gesicht. Ihre Tränen waren versiegt. Als Sarah sie wieder anblickte, sah sie in diesen Augen nur feste Entschlossenheit, dazu noch etwas, das sie nicht deuten konnte. Nicht Hass. Nicht Rachedurst. Auch nicht unbedingt Verachtung.
    Gemeinsam liefen sie zu der Treppe,
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