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Die zweite Kreuzigung

Die zweite Kreuzigung

Titel: Die zweite Kreuzigung
Autoren: Aufbau
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heißt Maryam, was Maria bedeutet«, erklärte er. »Ihr Name ist Maria.«
    »Fragen Sie sie, wie Ihre Mutter heißt.«
    Das tat er.
    »Hana«, sagte das Mädchen.
    »Übersetzt ist der Name ihrer Mutter Anna.«
    »Und jetzt fragen Sie sie nach dem Namen ihres Kindes.«
    »Isa«, lautete die Antwort.
    Mohamed blickte Gavril und Ethan verdutzt an.
    »Das ist die arabische Form von Jesus«, sagte er. »Ihr Baby heißt Jesus wie der Prophet,
salla, llah, alayhuma wa sallam

    Tiefes Schweigen breitete sich aus, als der Zusammenhang den Anwesenden bewusst wurde. Als Erster fand Gavril seine Sprache wieder.
    »Ich verstehe nicht«, sagte er. »Wie ist das gekommen?«
    Sarah musste lächeln.
    »So richtig verstehe ich es auch noch nicht. An diesem Problem werden Sprach- und Ahnenforscher wohl noch lange zu arbeiten haben. Aber im Moment stelle ich mir das so vor: In Wardabaha besteht offenbar seit langer Zeit eine heilige Abstammungslinie. Vielleicht seit 2000 Jahren. Seit der Zeit, da die ersten jüdischen Siedler um 70 nach Christi hierhergekommen sind. Die Linie reicht aber offenbar noch weiter zurück. Wenn ich recht habe, dann hat Jesus Nachkommen gehabt – Söhne und Töchter. Als Jerusalem niedergebrannt wurde, haben beide Linien die Stadt verlassen und sind bis hierher gezogen. Die weibliche Linie hat sich durchgesetzt, wie das bei den Juden stets war. Mariahat mir gesagt, die Frauen hier hießen immer im Wechsel Anna oder Maria. Und jedes männliche Kind wird Jesus genannt.
    Heutzutage kann man DNA-Tests machen lassen. Wenn ich recht habe, dann ist dieses Kind ein direkter Nachkomme von Jesus Christus über dessen Tochter Anna.«
    Gavril liefen Tränen übers Gesicht. Von etwas Derartigem hatte er noch nie geträumt, aber schon die Vorstellung war zu viel für ihn.
    »Was machen wir mit ihnen?«, fragte Ethan.
    »Machen?«
    »Wollen wir diese junge Frau etwa aus ihrer Heimat reißen, die sie kennt, und sie mit ihrem Kind in eine Umgebung verpflanzen, wo sie zum Ziel für alle Sensationshungrigen dieser Erde werden wird? Schau dir doch an, was allein aus einer Prominenten wie Britney Spears geworden ist, wie der Ruhm zerstört, was er aufbaut. Dieses Kind wird als Sohn Gottes und was sonst noch alles hingestellt werden. Es wird keinen Augenblick mehr Frieden haben. Es dauert nicht lange, da richtet die Welt es zugrunde.«
    »Und was schlägst du vor?«
    »Man müsste einen Weg finden, um diese Siedlung wieder aufzubauen. Wir lassen die Reliquien hier. Wir finden ein paar junge Tuareg, die hierherkommen, heiraten und Kinder haben wollen. Sie werden unter Eid verpflichtet, die Existenz von Ain Suleiman oder Wardabaha nie preiszugeben. Die Frauen von hier und die überlebenden Männer weihen sie in die Geschichte ihrer Vorfahren ein. Aber dieser Ort wird unter dem Sand bleiben, wo er bisher war. Mit der Zeit wird Jesus heiraten und selbst Söhne oder Töchter haben, vielleicht auch beides. Die Linie wird weiterleben.«
    Gavril brauchte länger, um sich zu äußern. Seine Hoffnungenhatten sich erfüllt und waren ebenso rasch wieder zerstört worden. Er saß nur wenige Meter von dem neuen Christuskind entfernt. Er konnte sich nicht vorstellen, was diese Menschen wussten oder was sie taten. Konnten die Jungen mit dem Namen Isa wohl Wunder vollbringen? Weckten sie die Toten wieder auf und heilten sie die Kranken? Würden die Männer und Frauen, die Aehrenthal umgebracht hatte, wieder lebendig, wenn dieses Kind ihnen seine Hand auflegte? Oder funktionierte das nicht?
    »Ja«, sagte er. »Ich glaube, Sie haben recht. Wir kommen hierher zurück, um dafür zu sorgen, dass es ihnen gutgeht. Ich würde gern öfter kommen und Isa aufwachsen sehen. Ich möchte ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe bringen. Oder vielleicht nützlichere Dinge.«
    Das Baby begann heftig zu schreien. Seine Mutter Maria suchte den Jungen zu beruhigen. Sie gab ihm die Brust, und langsam wurde er still. Als das Kind nicht mehr weinte, fiel Gavril etwas auf. Das Wehklagen der Frauen, das seit dem Abend zuvor ohne Unterlass erklang, hatte sich verflüchtigt wie eine Wolke vor der Sonne. Tiefe Ruhe herrschte in der Oase. Sie sickerte durch die Palmenwedel auf das blaue Wasser, bevor sie ihren Weg in die endlose Wüste nahm.
    Maria erhob sich und gab Sarah den Kleinen. Dabei schaute sie sie an und redete mehrere Minuten lang.
    Sarah wiegte das Baby und fasste dann zusammen, was Maria gesagt hatte. »Ich habe dich gefragt, wieso du keine Kinder hast, habe aber
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