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Leidenschaft, Die Dich Verfuehrt

Leidenschaft, Die Dich Verfuehrt

Titel: Leidenschaft, Die Dich Verfuehrt
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1
     
    Prominence, Kalifornien. Juni 1883
    Er machte gar nicht erst den Versuch, seine Waffe zu ziehen - denn dazu war es viel zu spät.
    Er spürte den kalten Stahl eines Revolverlaufes am Hals und hörte das Klicken des Hammers, als der Hahn gespannt wurde.
    »Keine Bewegung!« Die Stimme schlug ihm ebenso auf den Magen wie die ganze Situation, in der er sich befand. Es hätte seine eigene Stimme sein können - es war der gleiche Tonfall, das gleiche Timbre.
    Es war noch dunkel in der Gefängniszelle, in der er sein Nachtlager aufgeschlagen hatte, nachdem er die halbe Nacht beim Kartenspiel im Hinterzimmer des >Yellow Garter Saloons< durchgezecht hatte. Er sah unter den Wimpern hindurch den bla u sch warzen Lauf der Waffe, erkannte blonde Haare und weiße Zähne, die an die eines Wolfes erinnerten.
    Vorsichtig zog ihm der Fremde den Fünfundvierziger aus dem Holster, den er nicht abgelegt hatte, als er sich auf die harte Pritsche zum Schlafen gelegt hatte, wirbelte die Waffe einmal kurz um den Zeigefinger und legte sie dann gerä u sch voll auf den Ti sch. Der Fremde riß ein Zündholz an, und Shay roch den vertrauten Duft, als sich der Schwefelgeruch mit dem Kerosin der Lampe vermischte. Plötzlich wurde es hell in der Gefängniszelle, und Shay schloss für einen Moment geblendet die Augen, aber er rührte sich nicht.
    Der Fremde pfiff leise durch die Zähne. »Dann ist es also tatsächlich wahr«, murmelte er.
    Shay öffnete die Augen, blinzelte ein paarmal ungläubig und zog dann die Brauen zusammen. Er hatte das Gefühl, sich selbst im Spiegel zu betrachten, auch wenn es ein paar kleinere Unterschiede zwischen ihm und dem Fremden gab. Die Haare des anderen Mannes waren vielleicht eine Spur dunkler als seine eigenen, er trug einen Vollbart, und in seinem Mundwinkel hing ein dünner Zigarillo - aber sonst glich ihm der Kerl aufs Haar. Die gleiche muskulöse Figur, die gleichen blauen Augen und das gleiche schräge Grinsen, das schon an Überheblichkeit grenzte. »Wer zum Teufel...?«
    Der Fremde lachte leise in sich hinein. »Ja, das ist schon ein Ding, nicht wahr? Schläfst du eigentlich immer in deiner Gefängniszelle, Marshall ?«
    Shay richtete sich langsam auf, und sein Ebenbild erschoss ihn nicht sofort. Das sah er schon mal als gutes Zeichen an. Shay schwang die Beine über den Rand der Pritsche und versuchte aufzustehen.
    »Nicht so hastig«, sagte der andere und richtete die Mündung seines Revolvers auf das Herz des Marshall s.
    Seufzend setzte Shay sich wieder. »Wer zum Teufel bist du?« fragte er gereizt. Er war jetzt sicher, daß er nicht mehr träumte.
    Sein Ebenbild griff nach dem wackligen Stuhl in der Ecke der Zelle, drehte ihn um und setzte sich rittlings darauf. Es war eine einzige fließende Bewegung. Der linke Arm des Mannes ruhte lässig auf der Lehne, während der Fünfundvierziger locker in seiner behandschuhten Rechten lag. Er starrte den Marshall lange an und ließ sich viel Zeit mit der Antwort. »Vielleicht bin ich du«, antwortete er schließlich.
    »Ich glaube, ich muss wirklich mit dem Trinken aufhören«, erklärte Shay philosophisch.
    Sein Gegenüber grinste. »So schlimm ist es noch nicht, obwohl ich zugeben muss, daß du aussiehst, als hättest du es in letzter Zeit ein bisschen übertrieben. Wie alt bist du?«
    »Ich bin der Marshall , und ich stelle hier die Fragen«, fauchte Shay.
    »Ich bin der Mann mit der Waffe in der Hand«, erwiderte der andere freundlich.
    »Verdammt.« Gewohnheitsmäßig polierte Shay den Marshall ste rn , den er an der Brust trug, mit seiner Manschette. Das tat er immer, wenn er nachdachte. »Ich bin letzten September dreißig geworden.«
    »Ich auch.«
    »Na fein! Ich hoffe, daß dir jemand einen Kuchen gebacken hat«, knurrte Shay.
    Der Fremde grinste so unverschämt, daß Shay plötzlich begriff, warum sein Pa ihm gelegentlich einen Satz heißer Ohren verpasst hatte. »Ich glaube, ihr Name war Sue-Ellen. Wie lange bist du eigentlich schon Marshall ?«
    »Zuerst will ich mal deinen Namen wissen. Bevor ich den nicht kenne, sage ich kein Wort mehr.«
    »Saint-Laurent«, antwortete das Spiegelbild. »Tristan Saint- Laurent.« Dabei kratzte er sich mit dem Daumen der Waffenhand am Kinn.
    Shay ging in Gedanken all die Haftbefehle der gesuchten Verbrecher durch, die sich auf seinem Schreibtisch stapelten, und er war irgendwie erleichtert, daß keine der Beschreibungen auf diesen Mann passte - denn die Beschreibung hätte ja auf ihn selbst gepasst . »Es
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