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Die zweite Kreuzigung

Die zweite Kreuzigung

Titel: Die zweite Kreuzigung
Autoren: Aufbau
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waren Aehrenthal und seine drei verbliebenen Kumpane, alle bis an die Zähne bewaffnet. Es war geradezu selbstmörderisch, wollte sie versuchen, gegen sie anzutreten, ob nun für sich selbst oder für die Frauen und Kinder der Tuareg. Aber sie hatte so sehr gelitten und war so weit gegangen, dass tatenlos zu bleiben für sie jetzt nicht in Frage kam. Vielleicht war das ihre einzige Chance.
    Die Frau lief zu der kleinen Gruppe und nahm einem Jungen den Turban ab. Sie griff sich das Schwert samt Scheide und band es sich mit dem langen Tuch an der Hüfte fest. Unvermittelt lächelte sie Sarah zu und umarmte sie. Immer noch lächelnd führte sie sie im Gewirr von Mondlicht und Schatten durch eine Allee von Palmen über Sand, der von unzähligen Füßen festgetreten war. Sarah fragte sich, was diese Frau wohl antrieb. War das Leben für sie weniger wert, weil sie an diesem entlegensten aller Orte geboren war, wo es so geringe Chancen, so wenig Abwechslung und kaum Gesellschaft für sie gab? Als die Frau sich nach ihr umschaute, fiel das volle Mondlicht auf ihr Gesicht. Sie ist noch sehr jung, dachte Sarah, vielleicht nicht einmal zwanzig Jahre alt.
    »Wie heißt du?«, fragte sie.
    »Marta«, sagte das Mädchen. Das war kein arabischer Name. Sarah erkannte ihn sofort als Hebräisch oder Aramäisch. Zugleich fiel ihr ein, wie interessant es wäre, dieSprache zu studieren, die hier in Ain Suleiman gesprochen wurde.
    Sie kamen zu einer halboffenen Tür, hinter der sich eine Düne gebildet hatte. Beinahe wären sie einen Schritt zu weit gegangen, denn als sie nur noch wenige Meter entfernt waren, bewegte sich ein Schatten, und Sarah sah einen Posten neben dem Eingang stehen.
    »Geh zurück«, sagte sie zu Marta. »Bring die anderen in Sicherheit. Warte auf mich, wenn es hell wird.«
    Zunächst wusste sie nicht genau, was von ihren Worten das Mädchen wirklich verstanden hatte. Marta schaute nachdenklich drein, machte aber keine Anstalten, zu gehen. Dann trat sie ganz nahe an Sarah heran und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sarah bemerkte, dass Martas Sprache eine Menge mit Aramäisch zu tun hatte. Das wurde heutzutage nur noch von Assyrern, syrischen Christen und wenigen anderen Gruppen gesprochen, war aber weitaus moderner als Martas Aramäisch. Deren Worte klangen fast wie aus der Bibel. Sarah wollte sie fortschicken, aber die junge Frau ließ sich nicht abweisen. Bald war Sarah klar, dass dies für sie beide die einzige Hoffnung auf Überleben darstellte.
    Sie legte die Waffe nieder und schlenderte langsam auf den Posten zu. Sie erkannte einen der Österreicher und erinnerte sich sogar an dessen Namen.
    »Guten Abend, Günther«, sagte sie.
    Er runzelte die Brauen und trat einen Schritt vor, um ihr den Weg zu verstellen. Er hatte sie ebenfalls erkannt.
    »Du warst bewacht«, sagte er. »Wo ist Herzog?«
    Sie tat einen weiteren Schritt.
    »Ärger mit den Frauen«, sagte sie dann. »Er hat mich geschickt, um Hilfe zu holen.«
    Sie redete weiter mit ihm. Dabei ging sie ein wenig zur Seite, damit er der Richtung den Rücken drehte, aus der sie gekommen war. Er hob seine Waffe, als fürchtete er, sie könnte ihn angreifen. Aber sie lächelte ihm beruhigend zu. Er öffnete den Mund und wollte etwas sagen, aber schon hatte Marta ihn von hinten am Kopf gepackt, das Schwert geschwungen und ihm die Kehle durchgeschnitten. Er fiel leblos zu Boden. Ein dicker Blutstrahl schoss aus der Wunde, glänzte im Mondlicht auf, bis er im trockenen Sand versickerte.
    »Wir müssen uns beeilen«, sagte Marta und wischte die Klinge an ihrem Kleid ab.
    Sarah nahm die Taschenlampe, die zu Günthers Füßen lag, und knipste sie an. Sie studierte die Ornamente auf der Tür – die jüdische Menora auf dem einen und das Kreuz auf dem anderen Flügel.
    Sie traten in die Eingangshalle. Sarah ließ den Strahl ihrer Lampe über Wände und Decke gleiten. Sie sah das Bild des Gebäudes auf dem Hügel, vielleicht die erste exakte Darstellung des jüdischen Tempels, die je angefertigt wurde. Und das möglicherweise von Menschen, die in dem Tempel vor dessen Zerstörung gebetet hatten. Sie blickte zu den Engeln im hellen Sonnenlicht auf, sah die Trompeten in ihren Händen und die Heiligenscheine über ihren Köpfen. Ihr lief es eiskalt über den Rücken. Dieser Ort war von Geistern bewohnt. Geister, die auf sie gewartet hatten.
    Der nächste Raum war die Synagoge. Sie und Marta traten gemeinsam ein. Sarahs Herz schlug immer schneller, während sie verfolgte, wie
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