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Die zweite Kreuzigung

Die zweite Kreuzigung

Titel: Die zweite Kreuzigung
Autoren: Aufbau
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die in die Krypta führte.

ZWEIUNDDREISSIGSTES KAPITEL
Der Todesengel
    Die Engel schienen fremd und auch wieder vertraut wie die geflügelten Wesen auf Weihnachtskarten. Sie ließen Sarah an Weihnachten in Woodmancote denken, an den kurzen nächtlichen Gottesdienst in der Gemeindekirche, der gegen die schrecklichen, sich überstürzenden Ereignisse, die dann folgten, so friedlich wirkte. Was hatte sie hierher geführt?, fragte sie sich. Nach einer Antwort musste sie nicht lange suchen. Den größten Teil der Reise von Woodmancote bis an diesen Ort hatte sie passiv vollzogen, sich gegen ihr Schicksal aufbäumend, aber unfähig, dagegen auch nur einen Finger zu rühren. Mit Martas Hilfe hatte sie ihr Schicksal jetzt wieder in die eigenen Hände genommen. Selbst wenn sie starb, war das ein Ergebnis ihres eigenen Handelns, eines Risikos, das sie bewusst in Kauf genommen hatte. Sie ließ ihre Finger über die Edelsteine auf den Kronen der Engel gleiten.
    Als sie die Tür aufstieß, schlug ihr grelles Licht entgegen. Aehrenthal hatte fast alle Lampen hier zusammengetragen, dazu einen kleinen Generator, der mehrere Flutlichter speiste. Sie entdeckte sie sofort – Aehrenthal und den zweiten Mann. Sie legten Gebeine in Kisten. Sie sah, wie wenig sorgsam sie vorgingen, spürte Aehrenthals Arroganz, wie er Befehle schnarrte, wie er umherstolzierte, bald auf diese, bald auf jene Grabstätte wies, als gehörte ihm das alles seit ewigen Zeiten und er könne damit umspringen, wie es ihm gerade passte. Wenn eine Kiste voll war, beugte er sich hinunter, um sie zu beschriften.
    Aehrenthal sah und hörte nichts um sich her, aber sein Begleiter schaute einmal von seiner Arbeit auf und erblickte die beiden Frauen, die das Flutlicht hell beleuchtete. Als sie sich näherten, stieß er einen Schreckenslaut aus, denn ihre Absicht war nicht zu verkennen. Martas Haar hing lose auf die Schultern herab, Blut klebte an ihren Händen und Kleidern, und an ihrer Hüfte baumelte ein blutiges Schwert. Neben ihr ging eine weiße Frau, nackt bis zum Gürtel, Brust und Hände ebenfalls blutverschmiert. Der Mann war bereits tief verstört von allem um sich herum, den Räumen, durch die sie gegangen waren, und dem, wo er sich nun befand. Wenn jetzt zwei Dämonen in Gestalt zweier blutbefleckter Frauen mit steinernem Blick auftauchten, dann wunderte ihn das gar nicht. Die Maschinenpistole lag auf dem Boden neben ihm. Er bückte sich, um nach ihr zu greifen. Als er sich wieder aufrichtete, schoss Marta hinter Sarah mit erhobenem Schwert hervor, um ihn niederzuschlagen. Er riss die Maschinenpistole an die Hüfte und drückte ab. Sie rannte weiter, aber das Schwert fiel ihr aus der Hand. Sie griff nach ihm. Da feuerte er noch einmal, und sie stürzte mit dem Gesicht nach unten zu Boden. Sarah jagte ihm zwei Kugeln in die Brust, er taumelte nach hinten und fiel in eine Grabstätte aus weißem Marmor, wo ihn der Tod ereilte. Sie stürzte zu Marta hin, drehte sie auf den Rücken und sah sofort, dass sie tot war. Sie kniete nieder und küsste sie.
    Als sie aufblickte, stand Aehrenthal hinter Martas Leichnam. In seinem Gesicht las sie Spott und Wut zugleich. Bevor sie reagieren konnte, trat er ihr mit dem Fuß hart gegen die Hand, und die Pistole glitt scheppernd über den steinernen Fußboden.
    »Wie nett, Sie wiederzusehen, Miss Usherwood. Sie wirkenein bisschen unordentlich. Ich hoffe, keiner meiner Jungs hat Ihnen etwas getan. Es sind gute Männer, wie Sie wissen, stolz und aufrecht. Ich finde es bedauerlich, dass es Ihnen eingefallen ist, Emilian zu töten. Er wollte eigentlich Priester werden, wissen Sie? Er war ein frommer Mann. Jetzt liegt er hier bei Christus’ Gebeinen, und das nur, weil Sie nicht akzeptieren wollen, dass Sie und Ihre Freunde besiegt sind. Ich hoffe, Sie haben keinen weiteren meiner Männer getötet. Für jeden verdienen Sie eine Strafe. Die könnte zum Beispiel sein, dass ich für jeden zehn von diesen Tuareg-Frauen töte. Was halten Sie davon? Es gefällt Ihnen nicht? Aber wäre es nicht absolut gerecht?«
    Sie schwieg. Welchen Sinn hätte es auch gehabt, mit einem Mann von seiner Sorte zu streiten? Der jedes Zeichen von Widerstand zum Anlass für weitere Gewalt nahm?
    »Sie sind sehr töricht«, sagte er. »Hätten Sie mit mir kooperiert, dann wären Sie die Direktorin des größten Museums der Welt geworden. Stellen Sie sich das vor: Alle Gebeine von Jesus Christus und seiner Familie in den originalen Grabstätten. Diese kleine
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