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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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Farbe.
    Ein Mann, der seine gewichtige schwarze Polizeimütze unentwegt in seinen Händen knetete, hatte mir einen Tee gebracht, der auf dem Tischchen neben mir langsam kalt wurde.
    Ich sah mich um, zum ersten Mal, glaube ich. Ich hatte keine Erinnerung daran, wie ich von der Eisscholle im dunkel gähnenden Kanal auf den Posto di Polizia gekommen war – das einzige, was mir in den Sinn kam, wenn ich darüber nachdachte, war die rasche Folge der Gaslaternen, die an mir vorüberzogen, während ich scheinbar unbeweglich war.
    Die Polizeiwache des Viertels war kleiner, enger und baufälliger, als sie es bei diesem Aufkommen an krimineller Energie sein sollte. Es war mitten in der Nacht, und die Polizei hatte einige Zeit gebraucht, bis sie Carabinieri in unser Gästehaus hatte entsenden können. Ich weiß nicht einmal mehr, was ich ihnen sagte, wie ich Æmelies Tod schilderte. Danach jedenfalls hatte ich mich neben den Tee gesetzt und leise mit der Puppe gesprochen. Ich strich ihr abwechselnd über das Haar und den hässlichen Riss, der ihr Gesicht entstellte.
    „Bist du da drin, Æmelie?“, wisperte ich. Natürlich, Æmelies Körper mochte tot sein, aber sie hatte es geschafft, ihren begnadeten Geist in die Puppe zu übertragen. Nun konnte ich sie auf dem Schoß wiegen. Ich küsste ihr seidiges Haar, kämmte sie mit meinen Fingern.
    „Bist du da drin? Sag was, Æmelie!“ Ich lachte leise, dann begann ich zu weinen. „Sag doch etwas!“
    Ein Mann setzte sich neben mich, knetete seine Mütze und schob meinen Tee ein wenig beiseite. Mit beinahe blindgeweinten Augen blinzelte ich ihn an, sah den mitleidigen Blick, den er der Puppe Ynge und mir zuwarf.
    „Sie hat mit mir geredet. Die Puppe!“, sagte ich, und wieder bahnte das Lachen sich seinen Weg durch die tränenverhangenen Mauern meines Inneren nach draußen.
    Er lächelte mitleidig, und ich wusste, er verstand mich ohnehin nicht. Er hätte mich nicht einmal verstanden, wenn er meine Sprache gesprochen hätte.
    Ich wandte mich von ihm ab, zog meine kaltgefrorenen, blutig gestoßenen Füße, für die man mir warme Socken geborgt hatte, auf den knarzenden Stuhl und barg Ynge an meiner Brust. Ihre Kleider rochen nach Æmelies warmem Körper, und ich vergrub mein Gesicht darin und schloss die Augen, wartete darauf, dass man mich endlich würde aufwachen lassen aus einem Traum, in dem Frauen starben und Puppen sprachen.

Der Tatort eines Mordes

    Bleistiftskizze
    I ch wachte mit einem Schmerz auf, der sowohl daraus geboren war, dass ich stundenlang in einer verkrümmten Haltung auf einem ungepolsterten Holzstuhl gekauert hatte als auch aus der bitteren Gewissheit, dass die vergangene Nacht kein Traum mit schlechtem Sinn für Humor gewesen war.
    Nein, meine Æmelie war tot, und das schmerzte in jedem Winkel meiner selbst.
    „Von dir gegangen, Signor“, hatte der Polizist gesagt, dem man scheinbar in mehreren Sprachen taktvolle Worte beigebracht hatte.
    Aber sie war ja nicht von mir gegangen. Ich war von ihr gegangen, gefallen – und dann hatte man sie getötet. Blut sei am Tatort, viel Blut, aber ihre Leiche sei nicht zu finden. Vielleicht, Signor, hatte Æmelie sich in Sicherheit gebracht, schwer verletzt. Oder aber man hatte sie mitgenommen, wie offenbar die Hälfte unseres Reisegepäcks, alles, was für ihre Forschungen wichtig war und einiges mehr, beispielsweise den Holzkoffer für meine Leinwände. Vielleicht … hatte man sie nur entführt.
    Ob man es mir zumuten könne, den Tatort zu besuchen?
    Die Puppe nickte langsam, und ich ahmte sie nach, mit der gleichen, langsamen Bewegung. Wir blickten einander an, und sie klimperte mit den langbewimperten Augen.
    Ich drückte sie wieder an meine Wange. „Æmelie“, sagte ich.
    „Ich bin Ynge. Die Puppe“, wisperte sie.
    „Aber du hast ihre Stimme.“
    „Verzeih“, sagte die Puppe einfach.
    Die Polizisten sahen mich eigenartig an, doch dann gaben sie mir spitze Schuhe und einen Lodenmantel – mit beidem stieg ich in die Kutsche, die in der Morgendämmerung vor der Polizeistation wartete. Undeutlich war alles um mich her, selbst der Schmerz in meinem Inneren war ungewiss, zögerlich, vage. Nur der Blick aus den himmelblauen Puppenaugen schien mir wahr und klar und richtig.
    „Sie ist nicht da, Æmelie. Dein Körper ist nicht da.“
    „Du wirst schon sehen, warum“, antwortete die Puppe, und ich sah den Polizeibeamten triumphierend an, der mit mir in die Kutsche gestiegen war, doch er blickte betreten aus dem
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