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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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war.
    Tot jedoch war dieser Mann ohne Zweifel, lange tot, und von ihm ging der Geruch aus, den ich bereits in dem Raum bemerkt hatte, in dem Æmelie ihr Leben ließ.
    Ich trat näher heran, der Dottore wollte mich am Arm zurückhalten, doch ich streifte seine Hand ab und beugte mich über den Mann.
    „Sie müssen ihn nicht so genau anschauen“, versuchte er noch, mich zu hindern, doch ich spürte weder Grauen noch Ekel. Dottore Belluni hatte die Wirbelsäule offen gelegt, die blutleeren, lappenartigen Haut- und Muskelschichten säuberlich aufgeschnitten und beiseite geklappt, so dass der gelblich-weiße Knochen offen lag.
    „Wer ist der Mann?“ fragte ich das Innere des Körpers.
    „Das wissen wir nicht. Er lag im Korridor hingestreckt in einer nach Schwefel stinkenden Pfütze, vermutlich verdünntes Vitriol-Öl – der Hauswirt hat ihn gefunden, zusammen mit der Leiche des anderen Gastes.“
    „Wo ist meine Frau?“ fragte ich und musterte die erstaunliche Anatomie des menschlichen Rückens.
    „Auch das wissen wir nicht. Aber diese Leiche erlaubt uns vielleicht Rückschlüsse darauf.“
    „Nicht Leiche, Shelly!“, widersprach der Polizist aus dem Hintergrund.
    „Auch ein Shelly , mein Lieber, ist ein Leichnam. Oder gar mehrere“, wies ihn der Arzt zurecht.
    „Shellys gibt es nicht“, lachte ich. „Es gibt sie so wenig wie sprechende Puppen oder Wissenschaftlerinnen.“
    Er warf mir einen eigenartigen Blick zu.
    „Oh, Sie irren, mein Freund“, begann er dann. „Auf dem 3. Internationalen Kongress der Gesellschaft für Außerordentliche Naturwissenschaften – Schwerpunkt Anatomie – wurde ein Prototyp aus Ængland vorgestellt. Er konnte drei Schritte wandeln und fiel dann um. Aber drei Schritte sind eine große Leistung! Der Erfinder, Professor Clockworth-Merenge aus London, musste aufgrund großer Anfeindungen von Seiten der Kirchen und diverser Ethikkommissionen überstürzt abreisen, obgleich er betonte, dass nurmehr die Hülle sozusagen menschlich ist. Resteverwertung nannte er es.“
    „Interessant“, brummte ich, obgleich ich es nicht interessant fand. „Aber hier sind noch einige Teile im Inneren menschlich, so kommt es mir vor.“
    Ein Shelly. Die Hülle, Shell in ænglischer Sprache, der elektronischen Männer sollte also eine Resteverwertung menschlicher Abfälle sein. Ich hatte immer gedacht, diese Geschichten von Leichenfledderei seien in den Bereich einzuordnen, den Æmelie stets „Wissenschaftsmärchen“ genannt hatte.
    Aber nun lag einer davon vor mir aufgebahrt und hatte vermutlich mit mehreren seiner Kumpane meine Frau auf dem Gewissen. Hatte Vitriol-Öl geblutet wie eine Batterie.
    „In der Tat, obgleich die meisten Organe entfernt wurden, gibt es immer noch die Knochen, denn nichts anderes verleiht dem Körper Stabilität, nicht wahr? Doch sehen Sie genau hin!“, forderte mich der Wissenschaftler auf. Ich beugte mich vor, der Geruch stieg mir in die Nase – der beißende Gestank von Chemikalien, strenger noch als die Lösungsmittel, die ich zum Entfernen von Farbe verwendete.
    Der Arzt zog eine Glühlampe, die an einem Arm beweglich an der Decke hing, zu uns herab und leuchtete damit den grausigen Körper aus. Durch das Rückgrat zog sich eine blanke kupferne Leitung, ich konnte sehen, wie sie zwischen den Wirbeln offen lag, wie sie sich dort teils gabelte, von kleinen metallenen Spulen und Plättchen unterbrochen.
    „Eine elektrische Leitung?“, fragte ich. „Wissen Sie, meine Gattin forscht an Elektrizität. Sie hat eine Zelle erfunden, die die Galvanische Primärzelle ersetzen kann, mit verschiedenen Chemikalien und Platinbeschichtung, Methan rein und elektrischer Strom raus, ohne Aufladen, ganz wunderbar.“ Ich lächelte stolz und töricht. Hinter mir scharrte der Polizist mit den Füßen.
    „Nun, Signor, die Signora Dottoressa leider tot! Was für eine Scheiße-Zufall!“
    Der Arzt lächelte schmallippig. „Da spricht die Spürnase aus dem Wachtmeister, Herr von Erlenhofen. Clockworth-Merenges Shelly konnte nur drei Schritte laufen, weil ihm eine geeignete Energiequelle fehlte, nicht wahr? Wie praktisch wäre doch eine solche Erfindung, wie Ihre Frau sie anstrebte!“
    „Aber … aber der hier konnte mehr als drei Schritte laufen, ehe ihm der Strom ausging! Er konnte – er hat meine Frau töten können, nicht wahr, und nun haben sie sie verschleppt, und ihre Skizzen dazu und ihren Prototyp!“
    Ich musste einen sehr eigenartigen Schrei ausgestoßen haben, er
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