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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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verschleppt. Ich musterte Ynge skeptisch – hätte sie aber gesprochen, wenn dieser grässliche, gebrochene Blick meiner Frau nicht Wirklichkeit gewesen wäre?
    Ich seufzte und schloss die Augen. Obgleich ich nicht schlief, weigerte ich mich, sie zu öffnen, bis das Rumpeln und Trappeln vor dem Haus des Dottores verstummte.
    Die Haushälterin öffnete uns, eine junge, brünette Frau, deren Schürze eng wie ein Mieder um den drallen Körper lag. Sie lächelte mich an, und erst, als ich mich von ihr abwandte, wurde mir bewusst, dass zwei Polizisten ein etwa menschengroßes Bündel aus dem Kofferraum der Kutsche holten – Æmelies Leiche, deren Entdeckung man mir vorenthalten hatte?
    „Was ist das, Herr Gendarm?“, fragte ich den Gesetzeshüter, von dem ich glaubte, er sei der gewesen, der bruchstückhaft des Deutschen mächtig war. Unter ihren großen Mützen sahen sie alle gleich aus, alle mir gleichgültig.
    „Corpus Delicti, Signor“, erwiderte dieser und ließ mich eine lange Weile mit der Haushälterin allein, die mich in einem dunkelplüschigen Salon mit Tee und Petit Four versorgte. Sie gurrte immer wieder das Wort „Bambola!“ und wies dabei auf Ynge, die ich neben mich auf ein Kissen gesetzt hatte. Ich überlegte, ob die Puppe wohl auch Nahrung brauchte, denn Æmelie hatte meinen Träumen von irrwitzigen Maschinen mehrmals mit dem Verweis auf das Gesetz der Energieerhaltung den Wind aus den Segeln genommen. Wenn Ynge sprach, musste sie auch Energie aufnehmen, und vielleicht tat sie das in Form von Tee und Petits Fours.
    „Möchtest du etwas essen?“, fragte ich Ynge. „Muss ich an dir eine Schraube aufziehen? Hast du …“
    Ein Gedanke durchfuhr mich. Ich nahm die Puppe und rüttelte sie vorsichtig. Ich löste die Schleifen und Knöpfe ihres Kleidchens und zog sie aus, auch ihre kleinen ledernen Schühchen, die Strümpfe, die Bluse. Der Porzellanleib lag weiß und unversehrt vor mir, kleine Kinderspeckfalten waren in ihn hinein modelliert. Ich rüttelte die Puppe Ynge erneut.
    „Hat sie dir so eine Zelle eingebaut? Um dich zu betreiben – und einen Phonographen und eine Vorrichtung, um ihre Seele einzufangen?“
    „Signor?“, piepste die Haushälterin, als habe ihr eigener Phonograph soeben beschlossen, seine Funktionen einzustellen.
    „Ich spreche in deinem Kopf, weil du verrückt geworden bist“, antwortete die Puppe mit Æmelies Stimme. Sie klang neckend, als wolle sie mich ärgern. „Du Traumtänzer!“
    „Es steht einem Traumtänzer wohl gut zu Gesicht, verrückt zu sein“, antwortete ich mit Würde und begann, die Puppe wieder anzuziehen.
    Mittendrin traten der Dottore, ein langbärtiger Mann, der vermutlich wesentlich älter aussah, als er war – eine Tatsache, die sicherlich von ihm beabsichtigt war – und einige Wachtmeister an mich heran. Ich legte Ynge so hin, dass keine neugierigen Blicke ihrer Nacktheit gewahr wurden – obgleich sie ja ein geschlechtsloses Wesen war, sah man von ihren eindeutig weiblichen Kulleraugen und den Schillerlocken ab – und beharrte darauf, sie zu Ende anzukleiden, bevor ich meine Aufmerksamkeit dem perfekten Deutsch des Doktors zuwandte. Er musste bereits eine ganze Weile reden, dachte ich bei mir, als der Polizist, der so mühevoll meine Sprache beherrschte, sich zu mir herab und in mein Blickfeld beugte.
    „Identifizieren, Signor. Könntest du der Mann angucken? Per Dio, un brutto gioco!“

    Mit Ynge folgte ich dem Dottore und den Polizisten in den Keller.
    „Ist es das, was du mir zeigen wolltest?“, fragte ich die Puppe. Mein Flüstern hallte von den feuchten Wänden wider. Wir kamen in einen Kellerraum, dessen ebenfalls nasse Wände mit kalten, akkuraten Platten verfliest waren. Venedigs Keller waren wahrscheinlich alle von einer kalten Feuchtigkeit durchdrungen, in alle Ritzen, in alle Poren schlüpfte sie und machte den Ort zu einem widerlichen, vollgesogenen Schwamm, den ich kaum mehr ertragen konnte. Ich schüttelte mich.
    „Wie geht es Ihnen, Herr von Erlenhofen?“, fragte der Dottore sacht, dem mein Schauder nicht entgangen war.
    „Ich hasse es hier“, lächelte ich, und er lächelte unbestimmt zurück.
    Inmitten des gefliesten Raums, umgeben von rostenden Metallschränken und -tischen, stand eine Liege, auf der eine Leiche aufgebahrt war. Nein, nicht aufgebahrt, sie lag mit dem Gesicht nach unten, und der haarlose Kopf, die breiten Schultern und die Narben gaben mir sogleich zu verstehen, dass es nicht Æmelies Körper
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