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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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Mann zu vertreten. „Dann geben Sie mir schon mal die Adresse, und ich sende ihm ein Telegramm.“
    Æmelie schien zu zögern. Ich schlug die Skizze von ihrem Triumph vorsichtig um und setzte den Kohlestift auf der nächsten Seite auf – zog mit lockerer Hand einen jener berühmten Brückenbögen, über den eine Frau mit einem aufgespannten Regenschirm flanierte. Auch sie ergänzte ich; bevor sie die Brücke verlassen konnte, wurde sie rasch von mir eingefangen.
    „Dieser Anwalt ist hoffentlich keine Frau, sondern jemand, mit dem man sachlich reden kann? Diese Galvanische Gasbatterie, wie Sie sie nennen, ist schließlich kein Säugling, der für immer an Ihrer Mutterbrust hängen muss.“ Die Stimme war unangenehm, und das klackende Geräusch eines Spazierstockes begleitete das Auf- und Abschreiten ihres Besitzers. Ich zwang mich, mich nicht nach ihm umzudrehen. Es waren zahlreiche unangenehme Menschen auf dem Kongress gewesen, das war mir nicht entgangen – und viele von ihnen schienen sich dem Ziel verschrieben zu haben, eine junge Wissenschaftlerin zu verunsichern.
    Entsprechend empört rang Æmelie nach Luft, doch die Industriellengattin stand ihr bei.
    „Es gibt keinen Grund, so etwas zu unterstellen, Professor. Nicht wahr, meine Gute? Wir Frauen lassen uns nicht ewig so behandeln!“
    Auch ich hatte etwas dagegen, dass man Frauen so behandelte. Insbesondere die meine, die, schön und klug, wie sie war, einen verarmten, adligen Künstler geheiratet hatte und diesem sein verarmtes, adliges Künstlerdasein gewährte, während sie sich zu einer angesehenen Forscherin mauserte, die mit dem Patent auf die Galvanische Gasbatterie – oder die Erlenhofen-Brennstoffzelle, wie ich sie bereits in Gedanken zärtlich nannte – zu Ruhm und Reichtum kommen würde.
    „… natürlich zum Patent anmelden!“, nagte diese abscheuliche Unterhaltung erneut an meiner Geduld und Konzentration, als habe sie meine Gedanken gelesen.
    „So natürlich ist das nicht. Wenn Sie etwa einen Forschungsvertrag mit uns abschließen und auf das Patent verzichten, sichern wir Ihnen eine lebenslange Pension und die nötigen finanziellen Mittel für alles, woran Sie immer schon forschen wollten. Hatten Sie nicht auch einmal eine Schwäche für die Konstruktion von Flugmaschinen? Auch dafür fänden Sie Zeit.“
    „Was für ein Unsinn, hören Sie nicht auf ihn, Frau von Erlenhofen!“, schaltete sich erneut die Stimme der betagten Dame ein. Sie schnalzte mit der Zunge. „Im Übrigen wird es mir hier zu kalt. Wollen wir uns nicht in ein Teehaus setzen?“
    Ich zog noch einige uninspirierte Striche, die mich der Tatsache gemahnten, dass meine Muse sich bereits für heute verabschiedet hatte. Oder vielmehr, dass meine Muse in einen Schlagabtausch mit entsetzlich engstirnigen Menschen vertieft war. Dann schlug ich den Block zu und verstaute ihn, den Kohlestift, das Döschen und die im eisigen Wind bereits viskos werdenden Ölfarben in meiner abgegriffenen Tasche.
    „Liebling“, warf ich ein, „wollen wir nicht gehen? Es ist spät, und vielleicht willst du über all diese freundlichen Angebote nachdenken.“
    Ich warf der Runde aus grimmig blickenden Menschen ein verhaltenes Lächeln zu, das nicht erwidert wurde. Æmelie jedoch strahlte, als sei ich ihr Erlöser in schwerer Stunde – was ich vermutlich auch war. Ja, das waren wir füreinander, Æmelie und ich.
    Zu schade, dass der letzte Tag unseres Zusammenseins auf Erden nicht nur angebrochen war, nein, er wurde auch bereits alt – doch dieser Umstand war mir natürlich nicht bewusst, sonst hätte ich sicher etwas anderes mit meiner Zeit anzufangen gewusst, als mich mit einer klapprigen Staffelei, einer kleinen Leinwand und meiner Ledertasche zu beladen und hinter Æmelie und ihren geschätzten Kollegen und Gönnern herzustolpern.
    Es war der vierte Tag des 7. Internationalen Kongresses der Gesellschaft für Außerordentliche Naturwissenschaften – Schwerpunkt Elektrizität. Der letzte Tag in Æmelies Leben.

Der düstere Flur einer kleinen Kaschemme

    Schwarze Kreide
    I ch weiß nicht mehr, was ich dachte, als sie kamen. Der Schlaf hatte mich bereits fest im Griff, doch Æmelie, die entschlossen zu sein schien, die anstehenden Entscheidungen nicht zu überschlafen, sondern wachen Geistes zu überdenken, weckte mich mit einem Rütteln an der Schulter.
    „Naðan!“
    Es gab eigenartige Geräusche im Flur unseres Gästehauses – ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich auch für kleines Geld
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