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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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Ich lächelte ihr noch einmal aufmunternd zu.
    „Wo befindet sich die Stadt im Augenblick? Wird sie … wird sie von Passagierschiffen angeflogen?“, stammelte sie, und erntete einen neuerlich lieblosen Blick Herrn Messerschmidts. Mir fiel eine ganze Reihe italienischer Schimpfwörter für ihn ein, aber ich sagte sie nicht. In München mochte es durchaus sein, dass er sie auch kannte.
    „Dann muss er nach Hamburg oder Lübeck oder so und da nochmal umsteigen. Die wissen das besser als wir – zur Not muss er mit einem Frachter fahren.“
    „Also, bitte – die Stadt wird doch sicher von Passagierschiffen angeflogen werden!“, entrüstete ich mich, doch Herr Messerschmidt zuckte lediglich die Achseln und riss das Billet der Pelzdame mit einem Ruck ein, als wolle er viel lieber ihren Schädel abreißen. Sie zuckte zusammen.
    „Gut. Dann eben Hamburg. Oder meinethalben Lübeck. Oder halten Sie es für möglich, dass Æsta in der Ostsee ist?“
    „Nein, ausgeschlossen, die Ostsee ist in diesem Winter zugefroren.“
    „Immerhin, das schränkt es ein“, lächelte ich, während sie mir eine Fahrt heraussuchte. Da erst einige Stunden später ein Luftschiff nach Hamburg starten würde, zog ich mich in eine Teestube zurück und bestellte einen heißen Tee mit Kandiszucker und Sahne. Die Bedienung brachte einen Teller Kekse dazu, so dass sich mein Magen rasch wieder beruhigte und ich der Ansicht war, dass ich sehr bald wieder mit größeren Mahlzeiten beginnen konnte.
    „Bist du sicher, dass du keine Kekse brauchst? Keinen Tee?“, fragte ich Ynge, doch sie erwiderte nichts. Ich hatte sie auf einen Stuhl gesetzt und ihr Puppenkleid hübsch um ihre ausgestreckten Beinchen drapiert.
    Sie war wirklich entzückend, das teilte mir auch die Bedienung mit. Nur schade, dass sie diesen Riss im Schädel hatte, der bis zu ihrem Auge reichte. Ihrem schönen blauen Klimperauge.
    Meine Æmelie hatte graue Augen gehabt, aber ein Stich Blau war wohl darin gewesen. Wie das gefrorene Nordmeer, das ich noch niemals gesehen hatte – aber so stellte ich es mir vor.
    „Ich finde dich, Æmelie“, wisperte ich und besiegelte das Versprechen mit einem Schluck Tee. „In Æsta.“
    Æsta, das wusste ich noch aus Schultagen, war das lateinische Wort für Flut. Oder vielmehr Aesta, denn als die Römer ihre Schrift erfanden, hatten die Vikingar wahrscheinlich noch nicht diese Ligaturen geschrieben. Die hatten sie uns bei ihrer großen Wanderung mitgebracht, kurz, nachdem der Vulkan auf den fernen Vikingarinseln ausgebrochen war, und sie damit aufs Festland getrieben hatte. Das musste eine harte Zeit gewesen sein, denn sie brachten nicht nur Buchstaben mit, sondern vor allen Dingen Leid und Krieg, eine Hungersnot und diese Winter, die sich bis in die Sommer erstreckten.
    Ja, die Geschichtsbücher wissen, dass es vor den Vikingarn heiße Sommer, blühende Felder und Wiesen und manchmal sogar schneefreie Winter gegeben hatte. Nun waren die Vikingar sicher nicht schuld, dass sie dieses Wetter mitbrachten, sondern vielmehr der Vulkan – oder vielleicht sollte man sagen, der Vulkan trieb Asche und Staub, eine Eiszeit und die Vikingar vor sich her, und beides wirkte sich für den Rest der bekannten Welt nicht gerade günstig aus. Jedenfalls, die Lage hatte sich ja nun seit acht Jahrhunderten wieder beruhigt, und außer einigen seltsamen Namen und Buchstaben war nicht mehr viel von den Vikingarn zu sehen.
    Æsta. Die Flut. Ich fragte mich, wo ich sie antreffen würde.
    Zudem hatte die Fahrt nach Hamburg einen großen Teil meines Handgeldes aufgefressen, und ich hatte keine Gelegenheit, an mehr Bares zu kommen, solange ich nicht eine Filiale der Riegenbank auftrieb oder nach Aquis zurückkehrte. Doch die Fährte war noch frisch, dachte ich mit erwachenden Jagdinstinkten, und auch wenn die Gendarmen des Dogen ihr nicht folgen konnten, ich zögerte und zauderte nicht.

Die Stadt der Lufthanse

    Bleistiftskizze
    H amburg hieß mich mit leerem Magen willkommen. Da es diesmal aber nur Kekse gewesen waren, die ich von mir hatte geben können, war es mir gelungen, immerhin ein paar Arbeiten auf meinem Zeichenblock zu beginnen. Immer wieder hatte ich mir die Skizze Æmelies angesehen. Meine ernste, tote Wissenschaftlerin. Nein, ich blätterte sie um, ich konnte es nicht fassen, konnte die Gedanken nicht fassen, die auf mich einstürmten – und so hatte ich Eiskristalle gezeichnet, mit all ihrem pittoresken Spitzengefüge. Ich hatte die schneebedeckten
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