Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
Vom Netzwerk:
kurz hätte ich schwören können, sie sei nur eine Puppe, aber dann zwinkerte sie. „Æmelie, du bist meine Muse. Nicht wahr?“
    Sie war da drinnen. Sie war immer noch meine Muse. Oder ich war verrückt geworden, was wesentlich wahrscheinlicher war. Ab und an nahm ich mir vor, mich wieder wie ein erwachsener Mann zu verhalten, Ynge im Koffer zu transportieren und nicht mehr mit ihr zu reden. Aber wenn sie dann wieder Worte an mich richtete, mit der Stimme meiner bezaubernden, süßen, klugen Frau, dann konnte ich nicht anders. Ich hatte das Gefühl, sonst wahnsinnig zu werden vor Einsamkeit. Dann breitete sich solch ein kaltes, leeres Meer in mir aus und … nein, ich möchte nicht darüber sprechen.
    Ich klappte meine Reisestaffelei aus – ich hatte keine Leinwand, aber das war mein geringstes Problem, ich brauchte nur Holz, denn Leinen zum Bespannen fand sich noch in meiner Tasche. Ich betrachtete noch einmal das angefangene Ölbild der venezianischen Brücken – vielleicht eignete sich das, um es einer verwöhnten, lästigen Luftschiffpassagierin zu verkaufen? Nein – erstens war es nicht fertig, und zweitens hatte die Farbschicht beim hastigen Zusammenrollen und Verstauen in meiner Tasche Schaden genommen.
    Ich seufzte und warf erneut einen Blick in mein Portemonnaie. Es waren noch knapp einhundert Reichsmark darin – davon musste ich das Zimmer bezahlen, die Fahrt nach Æsta und Essen, denn so langsam schien mein Magen endgültig wieder aufnahmebereit zu sein.

    Ich hatte Glück – ich musste nur drei Nächte in dem kleinen, klammen, rauchigen Kämmerlein bleiben, bis sich ein Luftschiff nach Æsta fand. Der liebenswürdige Herr hatte mir freudestrahlend den Wucherpreis von siebzig Reichsmark für die Passage abgeknöpft, ich hatte meinen Gastwirt ausbezahlt und wagte nun den Weg zum angegeben Ankermast mit Taschen, die sich sehr leer anfühlten.
    Wenn es um meine finanziellen Unsicherheiten ging, hielt Ynge sich sehr zurück. Anscheinend war Geld für sie nebensächlich – Æmelie war es auch nicht so wichtig gewesen. Als meine Eltern, Freiherr und Freifrau von Erlenhofen, uns damals mit dem Argument, ich solle endlich etwas Vernünftiges tun und Æmelie ihnen Enkel schenken, so wenig generös ihre Unterstützung entsagt hatten, da sagte sie auch ganz einfach: „Das macht nichts. Irgendwann wirst du berühmt, und ich vielleicht noch vor dir.“ Dann hatte sie gelacht, so leicht, als gäbe es all die Schwermut der Welt nicht.
    „Ja, Æmelie“, seufzte ich, als ich das gigantische Luftschiff an den vom Wind gebeutelten Leinen und Ankern aufragen sah. Seine wasserstoffgefüllte Hülle war schwarz, und das Emblem des Herzogs von Pappelheim prangte darauf, wie mir ein hilfreicher Mitarbeiter auf dem Feld hatte sagen können. „Du hattest recht. Von nun an mache ich mir einfach auch nichts mehr aus derlei Dingen.“
    Hoffnungsvoll trat ich an den Ankermast heran. „Sie haben Glück, gnädiger Herr“, hatte der Mann am Schalter gesagt. „Das Luftschiff hat eine kleine Passagiergondel.“
    Die Gondel befand sich unmittelbar hinter der Kapitänskabine, wo sich jedoch auch die Mannschaft aufhielt, wenn sie gerade keiner Aufgabe nachging. Den größten Teil des Luftschiffs machte aber der Frachtraum aus – ich konnte von unten bereits sehen, dass das Schiff darauf ausgelegt war, schwere Lasten zu transportieren, denn das Stahlgerüst war vielfach gesichert, und die Gashülle war so gigantisch, dass sich außer den gasgefüllten Zellen sicherlich auch noch viel Platz für Fracht darin fand. Jedoch wurde die Ladung meist von Æsta zum Festland gefahren, nicht umgekehrt – jetzt wurden lediglich Nahrungsmittel hin transportiert, zu meinem Leidwesen auch eine ganze Rotte lebender Schweine.
    „Nein“, erinnerte ich mich, „so etwas macht mir jetzt nichts mehr aus. Geld und all diese weltlichen Dinge – ein Schiff teilen mit Schweinen –, das tangiert mich nicht mehr.“
    Ich konnte es mir schon lange nicht erlauben, mir für irgendetwas zu fein zu sein – und jetzt erst recht nicht mehr. Ich war hier, um einen Mordfall aufzuklären, da durfte man nicht zimperlich sein.
    Am Ankermast empfing mich ein hochgewachsener Mann, der einen Opiumpfriem kaute und seitlich ausspie, als er mich gewahrte.
    „Ah. Fahrgast, du, hm?“
    „Also, ich muss doch bitten“, entgegnete ich und betrachtete den braunen Fleck, den der Pfriem hinterlassen hatte. „Wie reden Sie denn mit mir?“
    Er beugte sich vor und hauchte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher