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Sieben Siegel 08 - Teuflisches Halloween

Sieben Siegel 08 - Teuflisches Halloween

Titel: Sieben Siegel 08 - Teuflisches Halloween
Autoren: Kai Meyer
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Das höllische Klassenzimmer
    Das Gesicht der Mumie war kühl unter seinen Fingerspitzen, trocken und runzelig.
    Toby fragte sich, ob sich Leichen tatsächlich so anfühlten. Er hatte sich die Berührung anders vorgestellt, eher wie brüchiges Papier, oder aber – ganz das Gegenteil – schleimig und weich wie ein Schwamm. Nicht so wie dieses Gesicht, nicht so fest. Nicht wie aus Gummi.
    Diese Mumie war aus Gummi. Irgendein unbekannter Künstler hatte ihre Züge geformt, äußerst detailliert, was den verschlagenen Zug um die Mundwinkel anging oder die Krähenfüße an den Seiten der Augen. Nur am Hals hatte er geschludert – hier war die Puppe viel zu glatt und unfertig. Ihr Schöpfer hatte wohl angenommen, die schmutzigen Bandagen, mit denen der gesamte Körper umwickelt war, würden den Hals verdecken. Normalerweise taten sie das auch, aber Toby hatte nicht widerstehen können und die Verbände ein wenig gelockert. Er war einfach zu neugierig: Sah die Mumie auch unter den Stoffstreifen wie eine echte Leiche aus? Wie fühlte sie sich an?
    Alles Betrug, dachte er jetzt, als er die Finger unter dem Verband am Hals hervorzog und einen Schritt zurücktrat, um die Mumie in ihrer Gesamtheit zu betrachten.
    Sie lag auf einem rechteckigen Altar, der in Wirklichkeit aus zwei Schulbänken bestand, über die man sandfarbene Decken gebreitet hatte. Die Wände des Klassenzimmers waren hinter Pappaufstellern verborgen, auf die einige der Schüler aus den oberen Jahrgängen ägyptische Zeichen und Hieroglyphen gemalt hatten – oder das, was sie dafür hielten. Den Boden hatten sie mit Sand bedeckt. An mehreren Stellen lagen künstliche Skorpione, die aussahen, als kämpften sie sich gerade aus dem Staub empor.
    Insgesamt hatten die Schüler ganze Arbeit geleistet, fand Toby. Der Klassenraum sah tatsächlich aus wie eine uralte Grabkammer, die wagemutige Forscher erst kürzlich freigelegt hatten. Das schummrige Licht und die fremdartigen Klänge, die auf Knopfdruck aus versteckten Lautsprechern kamen, taten ein Übriges, um die Illusion perfekt zu machen.
    Den ganzen Nachmittag über, während der unzähligen Führungen durch den Altbautrakt der Schule, hatten sich als Mumien verkleidete Schüler halb im Sand vergraben lassen und hatten sich immer dann, wenn eine neue Besuchergruppe den Raum betrat, langsam erhoben. Vor allem kleinen Kindern hatten die bandagierten Untoten, die sich stöhnend in den Sanddünen aufsetzten, einen gehörigen Schreck eingejagt.
    Jetzt waren dort, wo die falschen Untoten gelegen hatten, leere Kuhlen im Sand. Es war fast acht Uhr abends, und die letzten Besucher hatten den Altbau verlassen. Unten, auf dem Innenhof der Schlossschule, klang das diesjährige Halloweenfest mit einigen Attraktionen aus, die für die älteren Schüler und Eltern bestimmt waren.
    Toby trug weite Skaterklamotten und eine umgedrehte Baseballmütze. Er war zwölf, und er hatte sich freiwillig bereit erklärt, in allen Räumen das Licht auszuschalten. Soweit er wusste, war er der Letzte, der sich hier im Altbau aufhielt. Toby musste unwillkürlich grinsen, als er an die Wette dachte, die er und ein paar Freunde abgeschlossen hatten. Allein abends inmitten der Gruseldekoration – die anderen hatten geschworen, dass er kneifen würde. Doch ihm jagten die zur Geisterbahn umdekorierten Klassenräume keine Angst ein. Morgen würde er dafür einen ganzen Packen seltener Sammelkarten kassieren.
    Außerdem hatte er gehofft, Lisa mit seinem Mut zu beeindrucken.
    Toby schwärmte heimlich für Lisa. Sie war seine erste große Liebe – auch wenn er das ihr gegenüber natürlich nie zugegeben hätte. Er war bis über beide Ohren verknallt, zumindest aus der Ferne. Angesprochen hatte er sie noch nie. Seine Freunde meinten, Lisa sei merkwürdig. Schließlich trieb sie sich immer nur mit ihrem Bruder Nils, dieser rothaarigen Zicke Kyra und dem äußerst seltsamen Chris herum. Diese vier waren eine verschworene Gemeinschaft, zu der kein anderer Zugang hatte.
    Natürlich änderte das nichts daran, dass Toby Lisa wahnsinnig toll fand. Und als ihr Klassenlehrer nach einem Freiwilligen gesucht hatte, der nach dem Fest einen Kontrollgang durch den Altbautrakt der Schule machen sollte, hatte Toby nicht lange gezögert. Lisa hatte ihn angesehen, als er aufgestanden war und »Ich« gesagt hatte – wirklich angesehen. So, als hätte sie ihn zum ersten Mal tatsächlich wahrgenommen. Und war da Bewunderung in ihrem Blick gewesen? Vielleicht sogar
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