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Projekt Babylon

Titel: Projekt Babylon
Autoren: Andreas Wilhelm
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Kapitel 1

    10. April, gebirgige Weide im südfranzösischen Languedoc

    Der Schäfer erwachte plötzlich mit Herzrasen. Etwas hatte ihn aus dem Schlaf gerissen wie ein Paukenschlag, vielleicht ein Geräusch, vielleicht auch eine Vorahnung oder etwas, was er geträumt hatte.
    Er richtete sich auf und blickte sich nervös um. Seine Tiere grasten in kleinen Gruppen um ihn herum und unter den Bäumen und Sträuchern. Kaum einer aus dem Dorf kam jemals so weit herauf, aber Jacques scherte sich nicht um das Gerede der anderen. Er wusste, wo es noch saftige, friedliche Flecken für die Schafe gab, und diese dankten es ihm. Aber sie waren unruhiger als sonst. Sein Blick wanderte zum Himmel, und da sah er es. Wie eine dunkle Wand schoben sich mächtige Regenwolken aus dem Osten über den Berg. Ungewöhnlich schnell. Deswegen war er aufgewacht. Ein herannahendes Gewitter spürte er ebenso wie seine Herde.
    Er stand auf, schulterte seine Ledertasche und begann, die Tiere zusammenzutreiben. Der Nachteil dieses hoch gelegenen Plätzchens war, dass man sich auf das Wetter verlassen musste, denn die nächste Hütte mit notdürftigem Pferch lag einige Kilometer weiter unten im Schutz des Waldes.
    Der Schäfer sah verärgert zum Himmel empor, als schon die ersten Regentropfen fielen, obwohl die Wolkenfront noch nicht da war. Dies würde kein bloßer Schauer sondern ein Sturm werden.

    10. April, Palais de Molière nahe Paris

    Nur wenige Gäste sahen nach draußen, als auf der Rasenfläche vor dem Palais ein Hubschrauber landete. Zwei Sicherheitsleute standen an der Freitreppe vor dem Eingang und beobachteten die Landung. Einer der beiden erhielt Instruktionen über seinen Kopfhörer, bestätigte diese durch ein verstecktes Mikrofon und machte dann eine Geste nach hinten. Auf dieses Zeichen hin kamen zwei Bedienstete aus der Villa und liefen mit gebückter Haltung auf den Hubschrauber zu, dessen Rotorblätter gerade zum Stillstand kamen. Die Männer öffneten die Seitentür, und aus dem Inneren stiegen eine Frau und ein Mann, beide etwa Mitte dreißig, elegant aber zurückhaltend gekleidet, und bedeuteten den Bediensteten, beiseite zu treten. Hinter ihnen trat eine imposante Erscheinung ins Freie. In einen dunkelgrauen Dreiteiler gekleidet, mit weißem Halstuch, weißen Gamaschen und einem schwarzen Mantel mit Überwurf machte der hoch gewachsene Mann einen fast antiquierten Eindruck. Seine Kleidung war von höchster Qualität und der Ausdruck auf dem mit einem weißen Vollbart umrahmten Gesicht von einer überlegenen Seriosität. Seine jüngeren Begleiter folgten ihm, als er gemessenen Schrittes auf das herrschaftliche Gebäude zuging.
    Der Präsident gab wie jedes Jahr im Palais de Molière seinen Frühjahrsempfang. Als Mann des Volkes wollte er nicht aus einem Elfenbeinturm der Politik regieren, sondern stets im direkten Kontakt mit den Machern seines Landes, den Größen aus Wirtschaft, Medien und Kultur bleiben. Die meisten Gäste kannten einander nicht persönlich, sondern überwiegend nur aus der Presse. So war es für die Geladenen ein aufregendes Sehen und Gesehenwerden, und nur wenige hatten ein zweites Mal die Ehre.
    Als der weißbärtige Herr und seine Begleitung durch das Foyer schritten, machte ihnen die Gesellschaft unwillkürlich Platz, einige Gespräche verstummten, ein paar Gäste nickten den Neuankömmlingen grüßend zu. Die drei begaben sich in eine ruhige Ecke, wo man durch eine mannshohe Scheibenfront in die Gärten des Palais sehen konnte, während ein Kellner ihnen Getränke auf einem Tablett anbot.
    Draußen dämmerte es bereits, obwohl es noch nicht spät war. Aber der Himmel war wolkenverhangen. Es würde bald regnen.
    »Was für ein Zeitpunkt«, sagte der jüngere Mann. »Aber sicher ist es nicht.«
    »Nichts ist jemals sicher«, antwortete der ältere, »aber nie sahen wir mehr Zeichen.«
    »Steffen, man verlangt nach Euch.« Die Frau trat einen Schritt zur Seite. »Wir ziehen uns inzwischen zurück.«
    Präsident Michaut hatte sich freundlich aus dem Gespräch mit zwei Wirtschaftsberatern befreien können, als er den Grafen und seine beiden Begleiter eintreten sah. Ohne den Eindruck von allzu großer Hast erwecken zu wollen, griff er sich noch ein Glas Port, bevor er zu seinem Gast hinüberging.
    »Monsieur le Comte, es freut mich außerordentlich, dass Sie es so schnell noch möglich machen konnten!«
    »Die Freude ist ganz meinerseits, Monsieur le Président! Doch was für einen Moment in der Zeit
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