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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)
Autoren: René Menez
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schlief. Unter angespanntem Aufhorchen starrte Maramir in die kalte finstere Nacht. Bis auf die Rufe des Kauzes und einem leisen Rauschen, das der Wind brachte, war nichts zu hören.
    „Leinocka“, flüsterte Maramir, „du hast über uns gewacht, während Kar und ich geschlafen haben.“
    Leinocka schien zart, kaum erkennbar zu lächeln und ein Funke flammte in ihren Augen auf, der Zuneigung andeutete. Liebevoll streichelte Maramir ihr über den Kopf.
    „Wenn du nur mit mir sprechen würdest, Leinocka.“
    Die Seele in viele Teile zerrissen. Ihr Körper bebte und war dennoch äußerlich völlig ruhig. Zu sterben versprach Erlösung, aber ein mächtiger Geist, der sich dagegen wehrte, fegte durch ihren Kopf. Jegliche Hoffnung eingefroren, wie das Land um sie herum, es fühlte sich an, als wäre sie schon tot. - Doch sie hatte etwas gespürt, so, als ob diese Empfindung aus der Ferne käme: Kälte. Sie konnte fühlen, wie ihr Körper zitterte. Vor ihren Füßen ein schwelendes Häufchen Glut; ein sterbendes Feuer. Es wieder zu entzünden, wäre leicht. Aber warum sollte sie das tun? - Ihr Blick war auf die Umrisse der in Fell gehüllten Körper ihr gegenüber gerichtet. Nicht das Feuer konnte ihr die Wärme schenken, die sie benötigte, nach der sie sich sehnte. Aber SIE könnte es, SIE war imstande, ihr diese Wärme zu geben ...
    Ein freudiges Lächeln überzog Maramirs Gesicht, und es tat ein bißchen weh, als ihre rauhen Lippen dabei einrissen und der angenehm warme Geschmack von Blut sich in ihrem Mund sammelte.
    „Die Ahnen haben dich nicht geholt“, flüsterte Maramir sanft. „Ich bin froh darüber!“
    Sie spürte, daß Leinocka ihre Nähe suchte, und bedeutete ihr, sich an sie zu lehnen. Das Fell war groß genug für sie beide.
    Gequält stöhnte Kar leise im Schlaf, und Maramir vernahm, daß sie dabei weinte. Für einen Augenblick dachte sie daran, Kar zu wecken - doch dann überkam sie plötzlich eine solche Angst, daß sie es nicht wagte. Eine Angst die ihr längst vertraut war, eine Angst, die sich von Mal zu Mal tiefer in sie hineinzufressen drohte. - Sprach ihre Schwester mit den Ahnen? - Nichts fürchtete Maramir mehr als die Geister der Toten und die Wesen der Anderswelten.
    Kurz darauf erhob Kar ihren Kopf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Sofort vergrub sie es wieder zwischen ihren Knien und begann jämmerlich zu weinen.
    „Kar“, flüsterte Maramir mit brüchiger Stimme, „hast du mit den Ahnen gesprochen?“
    Kar schluchzte, und schließlich schüttelte sie schwer den Kopf.
    Als sie dann herüber sah, und Maramirs Zittern zu bemerken schien, spreizte sie wie ein großer trauriger Vogel einladend das Fell, das über ihren Schultern lag, als wären es Schwingen. Kar – Der Rabe. Was für einen passenden Namen Mutter Weißhaar ihrer Tochter doch gegeben hatte.
     
    Die Geräusche der Nacht rissen sie immer wieder aus einem Schlummer. Zuerst waren es die Todesschreie eines Hasen, der seinem Jäger zum Opfer fiel. Danach erschreckte sie sogar das unregelmäßige Rauschen des Windes oder das laute plötzliche Knacken des Feuers, in dem pfeifend und wimmernd feuchtes Holz verbrannte. Schließlich hörten sie ein Knirschen: Die verräterischen Laute eines umherschleichenden Tieres im Schnee. Kar sprang sofort auf.
    „Ein Weißfell!“, stieß sie mit einem Seufzer aus. „Es hat versucht, den Sack mit dem Fleisch aufzubeißen.“
    Sie deutete auf eine zerfledderte Stelle im Vorratsbündel und steckte einen Finger hinein. „Da sind seine Spuren!“
    Maramir legte vorsichtshalber das letzte Holz ins Feuer, und Kar setzte sich, leise über den frechen Iltis schimpfend, wieder neben sie.
    Obwohl beide nicht mehr schliefen, sprachen sie kein einziges Wort.
    Maramirs Gedanken gehörten den Toten ihres Stammes. Sie dachte an Ionech, der möglicherweise noch am Leben war. Und immer wieder versuchte sie, die Bilder und den Schmerz zu verdrängen, wenn die Erinnerung daran erwachte, wie sich die Männer, einer nach dem anderen, auf sie geworfen hatten.
    Das alles wäre sicher nicht geschehen wenn ... Zu früh! Es war zu früh gewesen, in das Land der Winterlager zu ziehen; in das tückische Gebiet der Seen und fließenden Gewässer. Der viele Schnee im Bergwald, dem Land ihrer Ahnen - kaum Nahrung, im zugeschneiten Gebiet der Sommerlager ... Sicher hatten jene Umstände die Alten zu dieser Entscheidung gezwungen. Es war ein großer Fehler gewesen! Niemals würde Maramir das Geräusch
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