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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)
Autoren: René Menez
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    Prolog
     
    Züngelnde Flammen schlugen mannshoch empor. Das große Feuer offenbarte für jeden sichtbar sein mächtiges Wesen mit der unsterblichen Seele aus Hitze und Licht.
    Einmal gerufen, bringt es Segen ... oder Vernichtung. Seine eigentliche Größe gilt als unermeßlich - und sein Hunger als unstillbar. Im Feuer wohnen die ungeborenen Seelen, und die Seelen der Toten finden dort stets eine Wohnstätte. Das irdische Feuer trägt die Stimmen dieser Welt in die Anderswelten, ins Reich der Toten, ebenso wie zu den geheimnisvollen Wesen der Unterwelt und in das nahe und doch ferne Land der Himmelswesen - wo das Große Himmelsfeuer brennt und die Welt zum Tag erhellt, wo bei Nacht das Kleine Himmelsfeuer die Dunkelheit bricht und die unzähligen, kleinen Lebensfeuer flackern.
    Das tanzende Licht des Feuers überzog den Platz der Festlichkeit mit einem rötlichen Glanz, der sich auf der Haut der Anwesenden widerspiegelte, die gebannt auf die Frau mit dem rabenschwarzen Haar starrten. In dicken Strähnen bedeckte es ihren nackten Oberkörper, und von ihrer Hüfte herab, ebenso wie an Armen und Beinen, hingen dünne Riemen, die durch unzählige kleine Knochen gefädelt waren. Breitbeinig, mit gerecktem Körper, die Arme emporgestreckt, vermittelte sie Stolz und Kraft, die durch einen wilden Rhythmus geschlagener Trommeln zunehmend an Ausdruck gewannen. - Auf ein Zeichen von ihr verstummten die Trommeln. Dann erhob sie ihre Stimme, den lodernden Flammen zugewandt.
    „Durch mich spricht die Stimme der Ahnen! In mir sind der Mächtige Bär und die Mutter Wölfin. - Ihr Ahnen, nehmt Platz zwischen den Lebenden und begrüßt eure Gefährtin Maramir! Denn es ist an der Zeit, daß ihre Seele den verstorbenen Körper verlassen muß. Ihr Großen Mächte, ich bitte euch, gestattet meiner Mutter in fremden Welten zu wandern! Verwehrt ihr nicht den Einblick in die großen Geheimnisse! Damit sie sich niemals verirrt und friert auf dem dunklen Weg zu den Feuern der Ahnen.“
    Die Kraft ihrer Stimme hatte nachgelassen, die vielmals erprobte Fähigkeit, Schwächen zu verbergen und stets starre Beherrschung zu zeigen, wurde schließlich von wachsender Traurigkeit überlagert. Die Augen der sonst so unnahbaren, ehrfurchtsgebietenden Frau füllten sich mit Tränen. Sie beugte sich zu dem Leichnam, der ausgestreckt vor ihren Füßen lag, und rieb liebevoll ihre Wangen am Gesicht der Alten. Dann fuhr sie blitzschnell hoch und rief: „Ihr Ahnen, begleitet Maramir auf ihrer Reise! Und ihr Großen Mächte, seht her, wie groß unsere Verehrung für die Tote ist!“
    Im nächsten Augenblick setzten die Trommeln wieder ein, lauter und schneller als zuvor. Das vielschichtige Surren singender Kreisel begleitete den wallenden Rhythmus und verschmolz mit dem Klang beinerner Flöten. Die Anwesenden erhoben sich und stimmten einen Klagegesang an, während sich ihre Körper im wogenden Takt zur Musik bewegten. - Und keiner war unter ihnen, der nicht die Nähe der Schattenwesen fühlte, die Seite an Seite mit ihnen tanzten und die Gedanken der Lebenden in dieser Nacht beflügelten.
    Im Tanz wirken verborgene Kräfte. Sorgen, Schwächen und Stärken der unsterblichen, im Körper wohnenden Seele treten dann ganz besonders hervor, wenn erst einmal die Grenze des alltäglichen Bewußtseins überschritten wird.
    Der Medizintrank der Schamanin zeigte allmählich seine Wirkung, entfesselte Geist und Körper von Frauen und Männern, die sich dem Rausch hingaben und auf eine ganz besondere Reise gingen. - Sie besuchten die Zwischenwelt, in der sich Tod und Leben begegnen und die Großen Mächte spürbar anwesend sind, ja geradezu Gestalt annehmen können. Ein Tanz hilft, den innewohnenden Geist eines Menschen zu stärken und kann somit durchaus Heilung bewirken – oder aber krank machen, denn im Tanz können auch unbewußt böse Geister gerufen werden. Niemand durfte es also wagen, einen Tanz zu stören – erst recht nicht während einer heiligen Zeremonie.
    Zu einem Zeitpunkt aber, als der Tanz allmählich seinen Höhepunkt erreichte und sich einige bereits in einem Zustand der Ekstase befanden, bahnte sich ein kleines Mädchen einen Weg zwischen den Tanzenden hindurch, bis zu der Frau mit dem langen, schwarzen Haar. Mittlerweile gab diese sich ausgelassen dem Tanz hin und bemerkte das Kind erst, als ein zaghaftes, aber stetiges Ziehen an den Riemen, die von ihrer Hüfte herabhingen, sie plötzlich störte. Schroff packte sie das Mädchen und riss es
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