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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter
Autoren: Petra Durst-Benning
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Boote vertäut waren, lag im Halbdunkel ein kleiner Rucksack.
    Augenblicklich stieß Olly die Tür weiter auf, damit noch mehr Licht in den Raum flutete. »Kosty, wo bist du?« Die hereinschwappenden Wellen hatten den Bootssteg überflutet, auf den glitschigen Planken drohte Olly immer wieder auszurutschen. Jedes Mal, wenn eines der Boote durch eine Welle an den Steg gedrückt wurde, ertönte ein lautes Ächzen. Kosty fanden sie auf keinem der Boote.
    »Hier hinten ist er auch nicht«, ertönte Mischas gedämpfte Stimme aus dem hinteren Teil der Admiralität, wo sich Werkbänke und Regale voller Segeltuch und anderer Utensilien befanden.
    Im nächsten Moment vernahm Olly ein leises Wimmern. »Kosty?« Hektisch schaute sie sich um. »Kosty! Wo bist du?« Inzwischen zitterte sie so sehr, dass ihre Zähne gegeneinanderschlugen.
    Und dann sah sie ihn, eingekeilt im Wasser zwischen zwei Booten. Vergeblich versuchte er, sich an den glatten Bootsleibern hinaufzuziehen, und immer wieder wurde sein Körper gegen eines der Boote geschlagen.
    »Hilfe, ich –« Schon verschwand sein Kopf unter der unruhigen Wasseroberfläche.
    »Kosty!«, schrie Olly, kniete sich hin, versuchte, die Hand ihres Bruders zu ergreifen. Doch während sie ins aufgewühlte Wasser schaute, begann der Boden unter ihr plötzlich zu schwanken, und sie verlor die Balance.
    Wie ein Hund wurde sie jäh im Nacken gepackt, der Stoff ihrer Leinenbluse riss mit einem dumpfen Geräusch, und Olly fiel auf die Holzplanken zurück.
    »Lassen Sie mich!«, keuchte Mischa und sprang ins Wasser.
    Irgendwie gelang es ihnen kurz darauf, Kostys schlaffen Körper auf den Steg zu hieven.
    »Kosty, Kosty, was machst du nur für Sachen?«, heulte Olly, wäh rend sieihn auf ihrem Schoß wiegte. Wenn sie nicht rechtzeitig gekommen wären … Wenn Mischa nicht gewesen wäre!
    Der Bootsjunge kniete erschöpft neben ihr. »Geht es ihm gut?«, fragte er, und seine Zähne klapperten vor Kälte.
    »Ich wollte doch nur spielen«, schluchzte der Missetäter. »Calico Jack wollte ich sein, der berühmte englische Pirat! Ich habe nur auf besseres Wetter gewartet, dann wollte ich zu einem Streifzug aufbrechen und mit Gold und Edelsteinen zurückkommen.«
    Trotz aller Erschöpfung und Sorge musste Olly lachen. »Du und deine Spiele, unmöglich bist du!« In bemüht strengem Ton fuhr sie fort: »Pirat hin oder her – du kannst dich doch nicht so einfach aus dem Staub machen! Wir dachten schon, du wärst entführt worden!«
    »Aber warum das denn?« Verwirrt schaute der Bruder von einem zum anderen, dunkle Schatten, die im Gesicht eines Fünfjährigen nichts verloren hatten, lagen unter seinen Augen. »Und wenn schon!« Urplötzlich erwachte der schlaffe Körper zu neuem Leben. Kosty wand sich aus Ollys Umarmung und rannte ans Ende des Steges. »Dann wäre ich endlich weg von dem schrecklichen Lütke! Ich hasse ihn und seine Bücher! Er lacht, wenn ich etwas nicht auf Anhieb kann. Seitenlang muss ich Buchstaben schreiben, und trotzdem sagt er, meine Schrift wäre krumm und hässlich. Was immer auch Vater will, ich gehe nicht mehr zum Unterricht – lieber bin ich tot!«

3. KAPITEL
    N ikolaus’ Faust donnerte so heftig auf den Esstisch, dass die Gläser klirrten.
    »Sich einfach aus dem Staub zu machen und den ganzen Haushalt in Schrecken zu versetzen! Er wollte Pirat spielen, wenn ich das höre! Der Junge muss endlich verstehen, dass das Leben kein Spiel ist und unablässige Studien für ihn so wichtig sind wie das tägliche Brot. Sollte eines Tages der Fall eintreten, dass Kosty die Krone von Sascha übernehmen muss, muss er dafür gerüstet sein.«
    Die Worte ihres Vaters strichen an Ollys Ohren vorbei, ohne einen Sinn zu ergeben.
    Kosty war nichts passiert – nur das zählte. Er lag zwar schlotternd vor Kälte in seinem Bett und hatte eine ziemliche Standpauke über sich ergehen lassen müssen, aber weitere Blessuren hatte er nicht davongetragen.
    Wären Mischa und sie allerdings später gekommen … Trotzdem hatte bisher keiner auch nur ein lobendes Wort über Mischas Rolle als Lebensretter verlauten lassen.
    »Das viele Lernen fällt ihm schwer, unser Kosty hat ein sehr verspieltes Gemüt«, sagte Alexandra. »Nikolaus, bedenke, er ist erst fünf.«
    Dankbar schaute Olly ihre Mutter an, die sich gerade einen Schluck Wein nachschenken ließ. Sie hatte also auch bemerkt, wie unglücklich Kosty war. Bestimmt würde sie nun dafür sorgen, dass Herr Lütke weggeschickt wurde.
    »Wurdeich
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