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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter
Autoren: Petra Durst-Benning
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nach Alexanders Tod etwa gefragt, ob ich mich reif genug fühlte? Ein einfacher Brigadier war ich, hatte keine Ahnung von der Welt, als ich die Zarenkrone aufgesetzt bekam. Aber ich war ja auch nur der Nachgeborene, da legten meine Eltern keinen Wert auf meine Erziehung. Wäre es mir nicht gelungen, mich in kürzester Zeit in viele Dinge einzuarbeiten – Gott weiß, was aus unserem Russland geworden wäre.«
    Olly runzelte die Stirn. Es dauerte doch sicher noch viele Jahre, bis Sascha zum Zaren gekrönt wurde, und ob Kosty je an seine Stelle treten würde … Das stand doch alles in den Sternen.
    »Kostys Kinderfrau kann noch heute ihre Sachen packen, niemand in meinem Haus vernachlässigt seine Pflichten ungestraft.« Erneut donnerte Nikolaus’ Faust auf den Tisch.
    Olly und ihre Geschwister zogen die Köpfe ein.
    »Als ob ich nicht schon genug anderen Ärger hätte – erst vorhin musste ich aus einer Depesche über etliche neue Aufstände im Land erfahren. Manchmal frage ich mich, warum ich nicht gleich in St. Petersburg geblieben bin, von dort aus hätte ich die schädlichen Umtriebe besser kontrollieren können.« Ohne zu kauen, schluckte er ein Stück Brot.
    »Aber wir sind so froh, dich bei uns zu haben«, sagte Alexandra und drückte seinen Arm. »Bestimmt ist alles nur halb so schlimm, du bist doch ein solch wundervoller Zar … Du erlaubst?« Schon tauschte sie ihren leer gegessenen Teller gegen seinen unberührten Teller.
    Olly konnte die Mutter für ihren guten Appetit nur bewundern – wenn sie an Kosty dachte, der hungrig und verheult in seinem Zimmer saß, brachte sie keinen Bissen hinunter. Sie würde ihm nachher heimlich etwas zu essen bringen, beschloss sie. Obwohl sie frische Kleider anhatte und Charlotte sie gründlich abgetrocknet hatte, war ihr eiskalt. Schauer liefen immer wieder über ihren Rücken. Vielleicht sollte sie sich ein wenig hinlegen und ausruhen …
    »Das sag diesen elenden Aufrührern, die überall im Land nichts Besseres zu tun haben, als immer wieder neue Brände zu legen!« Beklommen legte Olly ihr Besteck endgültig weg. Wann immer ihr Vaterso sprach, bekamen seine Augen einen eisblauen Schimmer, und seine Lippen wurden zu zwei schmalen Strichen.
    »Aber woher kommen diese Aufrührer?«, wollte Sascha wissen. »Nach Ihrem Regierungsantritt machten Sie doch dreitausend von ihnen den Garaus?«
    »Tja, diese Leute scheinen wie Unkraut nachzuwachsen. Die Intellektuellen sind dabei die schlimmsten. Aber keine Sorge, ich werde ihre Glut ein für alle Mal löschen.«
    »Und ich helfe Ihnen dabei!«, rief Sascha voller Inbrunst. »Von mir aus können wir gleich morgen losreiten und die Aufständischen suchen!«
    »Du studierst jetzt erst einmal fleißig weiter. Und dann sorge ich dafür, dass du etwas von der Welt siehst. Von der Welt und von Russland, besser gesagt. Und erst dann wirst du mir hoffentlich eine große Stütze sein.«
    Unter niedergeschlagenen Lidern musterte Olly ihren Vater. Dunkle Schatten umrahmten seine Augen, aber die erschienen nun nicht mehr gar so düster – Saschas Bemerkung schien seine Laune ein wenig gebessert zu haben.
    Sie holte zaghaft Luft. Eigentlich wollte sie ihren Vater heute noch etwas Wichtiges fragen …
    »Genug von den elenden Aufrührern und Brandstiftern. Die Offiziere meiner Leibgarde wollen in einer knappen Stunde ein kleines Pferderennen abhalten. Iwanow ist der Meinung, seine Neuerwerbung würde es mit jedem anderen Zossen aufnehmen. Aber Madjedew hält dagegen. Er wettet fünfhundert Rubel darauf, dass sein Rappe gewinnt!« Der Zar lachte, und seine Miene entspannte sich für einen Moment. »Ich habe eingewilligt, den Startschuss zu geben, du darfst gern mitkommen«, sagte er zu Sascha, der sofort aufsprang.
    »Und wir?«, sagte Mary. »Dürfen wir auch –«
    »Wehe, ihr lasst euch hinten bei den Stallungen blicken! Ich will nicht dabei zusehen, wie eines meiner Mädchen beim Rennen unter die Hufe kommt.« Im Aufstehen ergriff der Vater ein letztes Stück Brot.
    Jetztoder nie! Olly nahm ihren Mut zusammen und zupfte an seinem Soldatenrock. »Vater, da wäre noch etwas … Ich … Darf ich am kommenden Sonntag mit in die Oper? Meine Noten sind diese Woche die allerbesten, sogar in Geographie! Und Sie hatten mir doch versprochen, dass ich, also wenn ich …«
    »Das mag schon sein, mein liebes Kind, dass ich dir etwas versprochen habe. Im Gegensatz zu dir kenne ich allerdings jemanden, der deinen Fleiß leider nicht geteilt hat.« Er
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