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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter
Autoren: Petra Durst-Benning
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warf Mary einen strengen Blick zu. »Somit ist mein Versprechen hinfällig und ihr bleibt alle zu Hause.«
    Wer die drei Schwestern durch den ovalen Innenhof des Katharinenpalastes laufen sah, hatte Mühe, sie auseinanderzuhalten: Alle drei waren für ihr jeweiliges Alter eher zierlich, hatten schlanke, schmale Gliedmaßen, ebenmäßige Züge, in denen das Leben noch keine Spuren hinterlassen hatte, dazu seidiges Haar. Obwohl ihre Kleider schlicht waren – cremefarbener Musselin für die Blusen, robuster Zwirn für die blauen Röcke –, sah man ihnen die gute Verarbeitung und perfekte Schnittführung an.
    Erst bei näherem Hinsehen wurden die Unterschiede zwischen den Mädchen deutlicher: Während die achtjährige Adini den Weg entlanghüpfte und die elfjährige Olly mürrisch hinterherschlenderte, lief Mary mit ihren vierzehn Jahren verkrampft und mit nach vorn gebeugtem Oberkörper, um nur ja keine Aufmerksamkeit auf ihre sprießenden Brüste zu lenken. Seit ihre Taille geschnürt wurde, strichen ihre Hände immer wieder über den Stoff ihres Kleides, gerade so, als fühlte sie sich in ihrer Haut nicht sonderlich wohl.
    »Ans Einschnüren gewöhnt man sich rasch«, hatte ihre Mutter erst kürzlich gesagt und angefügt, dass es nun nicht mehr lange dauern würde, bis sich Mary wie eine Raupe zu einem wundervollen Schmetterling entpuppen würde.
    Olly warf ihrer Schwester einen missmutigen Seitenblick zu. Keine Ahnung, was die Mutter damit gemeint hatte – war Mary nicht schon jetzt ein wunderschöner Schmetterling? Allein wie sie ihre schimmernden Haare aufwendig am Hinterkopf festgesteckt trug!
    Natürlichhatte sie den mit Blüten und Blätterranken verzierten Kamm eingesteckt, den sie erst vor kurzem von ihrem Vater bekommen hatte. Ihr, Olly, hatte er noch nie so etwas Schönes geschenkt.
    Aber sie war ja auch nicht seine Lieblingstochter. Ihre Augen funkelten nicht wie ein grüner Waldsee, auf dem goldene Sonnensprenkel tanzten, so wie Marys Augen es taten.
    Mary wirkte stets so aufgeweckt und lebendig! Neben ihr fühlte sich Olly grau und blass.
    Dennoch gab sie die Hoffnung nicht auf, was ihr eigenes Aussehen anging. »Aus so manch hässlichem Entlein ist noch ein schöner Schwan geworden«, hatte Tante Helene erst kürzlich gesagt und sie dabei in den Arm genommen. Alles brauche eben seine Zeit, Olly solle ihr Haar fleißig jeden Abend mit tausend Bürstenstrichen pflegen, dann würde es eines fernen Tages ebenfalls herrlich glänzen.
    Olly hoffte inständig, dass die Tante recht hatte. War sie erst mal ein schöner Schwan, würde sich Mary gewiss nicht mehr so aufspielen können!
    Adinis Haar hingegen glänzte auch ohne tausend Bürstenstriche. Ihre Taille war von Natur aus so schlank, dass man sie später wahrscheinlich nicht einmal würde schnüren müssen. Dazu der schlanke Hals, die feine Nase, die tiefblauen Augen …
    Olly war froh, dass von ihnen dreien Adini die größte Schönheit war und nicht Mary.
    »Warum hast du dich vorhin nicht für mich eingesetzt? Wegen deiner schlechten Studien muss ich auf die Oper verzichten, dabei hatte ich mich so darauf gefreut«, fuhr sie ihre ältere Schwester nun an.
    Mary lachte nur. »Hast du keinen Mund zum Reden? Feigling!«
    Olly biss sich auf die Lippen. Was konnte sie denn dafür, dass es ihr in der Gegenwart Erwachsener die Kehle zuschnürte und sie kaum ein Wort herausbrachte. Wegen Mischas Brille hatte sie auch nichts gesagt, dabei wäre die Gelegenheit günstig gewesen, ärgerte sie sich. Unwillkürlich wanderte ihr Blick in Richtung Admiralität. Zu gern hätte sie Mischa einen kurzen Besuch abgestattet. Hoffentlich war bei ihm alles in Ordnung. Im Gegensatz zu ihr war er näm lich nichtsofort nach Hause gegangen, um sich trockene Kleider anzuziehen, sondern hatte erst allen anderen Suchenden mitgeteilt, dass Kosty gefunden worden war. Ob er auch immer noch so fröstelte wie sie?
    »Jetzt streitet euch nicht – wollen wir ein Wettrennen machen? Einmal bis zum Pfauengehege und wieder zurück.« Adinis Augen leuchteten voller Vorfreude.
    »So was Kindisches, wenn mich jemand sieht!«, sagte Mary.
    »Wir könnten auch die Pfauen füttern gehen.« Olly hielt die Brot-scheiben in die Höhe, die sie sich heimlich in die Rocktasche gesteckt hatte. Es war ihr nicht gelungen, sie dem Bruder ins Zimmer zu schmuggeln, sein Kindermädchen hatte sie vor der Tür abgewiesen. Armer Kosty – eingesperrt und hungrig.
    »Au ja, das machen wir!«, rief
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