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Eine Nacht ist nicht genug

Eine Nacht ist nicht genug

Titel: Eine Nacht ist nicht genug
Autoren: Natalie Anderson
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1. KAPITEL
    Immer aufgebrachter sah Emily den Mann an, der vor ihr stand. Er war schlichtweg die Arroganz in Person.
    Groß wie ein Basketballspieler mit Schultern wie ein Rugbyprofi– und er versperrte ihr die Sicht. Schlimmer noch, er hatte eins dieser modernen Telefone in der Hand, die alles konnten: Internet, Musik, Kamera. Bei jedem Tastendruck piepste das Gerät, und zwar ziemlich laut. Dabei fängt jetzt jeden Moment die Ouvertüre an!, dachte Emily verärgert und räusperte sich nachdrücklich.
    Sie hatte das ganze letzte Jahr wie verrückt gearbeitet und jeden Cent gespart, damit sie und ihre Schwester ganz bis nach Italien reisen und diese wunderbare Oper besuchen konnten. Auf keinen Fall würde sie sich dieses Erlebnis von einem rücksichtslosen Idioten verderben lassen, der sein Privatleben für wichtiger hielt als dieses große Kulturereignis – und als den Respekt gegenüber anderen Menschen, die den Abend genießen wollten.
    Als Emily sich ein zweites Mal räusperte, wandte sich der Mann ein wenig zu ihr um und blickte sie kurz an, doch das Piepsen ging weiter. Dafür wurde es im Orchester leiser, und es ertönte nun ein einzelner lauter Oboenton, auf den sich die anderen Instrumente abstimmten. Nun würde jeden Moment der Dirigent auftauchen. Und noch immer stand der große Mann vor Emily und versperrte ihr die Sicht.
    Sie räusperte sich ein drittes Mal und betrachtete finster den breiten Rücken und die Muskeln, die sich unter einem edlen schwarzen Jackett abzeichneten. Als der Mann von den teuersten Plätzen heraufgekommen war, hatte Emily gesehen, dass er schmale Hüften und eine schmale Taille hatte. Er fiel auf, da er größer war als die meisten Anwesenden. Noch dazu war er elegant gekleidet, hatte eine perfekte Figur und strahlte selbst in der heißen, menschengefüllten Arena eine Aura kühler Distanz aus. Bestimmt ist er extra hier hochgekommen, um seine elitären Sitznachbarn nicht zu stören, dachte Emily, hier oben auf den billigen Plätzen macht das ja nichts.
    „Acqua! Cola! Vino bianco! Vino rosso!“ , rief einer der durch die Menge eilenden Getränkeverkäufer, und am liebsten hätte Emily alles auf einmal bestellt. Ihr war heiß, und sie hatte Durst. Diesmal hustete sie, anstatt sich zu räuspern.
    Warum, um alles in der Welt, war Kate noch nicht wieder da? Nur ihre kleine Schwester brachte es fertig, unmittelbar vor Beginn einer Opernaufführung auf die Toilette zu müssen. Emilys Kehle wurde immer trockener, und der Mann versperrte ihr noch immer die Sicht. Plötzlich drehte er sich um und fing ungeniert an, mit seinem hochmodernen Handy zu fotografieren.
    „Sie machen jetzt Fotos?“, fragte Emily äußerst kühl.
    „Sì “, bestätigte er zufrieden lächelnd. „Ich brauche einen neuen Bildschirmhintergrund für mein Handy. Und dieser Ausblick ist einfach fantastisch, finden Sie nicht?“
    „Ich würde sagen, dass der ‚Ausblick‘ sich hinter Ihnen befindet“, entgegnete Emily scharf. „Sie wissen schon, die Bühne, das Orchester …“
    „Oh nein, da irren Sie sich. Die Schönheit des Abends befindet sich direkt vor mir“, widersprach der gut aussehende Fremde und sah ihr mit einem Blick in die Augen, den sie am ganzen Körper spürte. Unwillkürlich wünschte Emily, sie würde etwas Schickeres tragen als einen billigen Baumwollrock und ein T-Shirt. Diesmal zog sich ihr wirklich die Kehle zusammen, und sie gab einen erstickten Laut von sich. Als ihr die Tränen in die Augen traten, hörte sie, wie der Fremde den Getränkeverkäufer herbeirief und schnell mit ihm auf Italienisch sprach. Dann reichte er ihr eine Flasche Wasser.
    „Für Ihren Hals“, sagte er leicht amüsiert.
    Emily konnte schlecht die genervte Diva spielen und das Wasser ablehnen, nachdem er nun sein Telefon eingesteckt hatte und ihr ein Lächeln schenkte. Ein ziemlich atemberaubendes Lächeln noch dazu.
    „Danke“, erwiderte sie atemlos, was sicher nur daran lag, dass sie so zu ihm aufblicken musste.
    „Freuen Sie sich auf die Oper?“, fragte ihr Retter und setzte sich auf den freien Platz neben ihr.
    „Ja“, antwortete Emily nervös. Wo steckte bloß Kate? Und wo blieb der Dirigent? Jeder Moment schien plötzlich eine kleine Ewigkeit zu dauern.
    Der Mann nickte. „Sie ist wirklich gut und wird jedes Jahr hier aufgeführt.“
    „Ich weiß.“ Emily hatte sich einen Reiseführer aus der Bücherei ausgeliehen und ihn praktisch verschlungen. Doch jetzt verschlang sie mit den Augen etwas ganz
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