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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter
Autoren: Petra Durst-Benning
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ganzen Tag über arbeiteten, ob ihnen auch manchmal so schrecklich langweilig war wie ihren Geschwistern und ihr, ob die Hühner wirklich mit in der Hütte schliefen und vieles mehr. Aber wie sollte sie das ihrer Mutter erklären?
    »Es ist nur so … also ich …«, stotterte Olly und atmete auf, als sie sogleich von ihrer Mutter mit einer abrupten Geste zum Schweigen gebracht wurde. Manchmal hatte es auch sein Gutes, dass Geduld nicht unbedingt zu Alexandras herausragenden Eigenschaften gehörte …
    »Genug davon. Ich muss mich jetzt auf all die vielen Dinge konzentrieren, die mein lieber Willamow und mein ebenso lieber Longinow so eloquent vortragen. Von all den Listen, Plänen und Vorschlägen ist mir schon ganz schwindlig!« Theatralisch hielt die Zarin sich eine Hand an die Stirn.
    Die Mädchen kicherten, wobei Marys Lachen eher verhalten ausfiel – mit vierzehn Jahren gackerte man nun einmal nicht mehr so kindisch wie die jüngeren Geschwister.
    Auch die zwei Sekretäre des Wohltätigkeitsamtes, die wie an jedem ersten Mittwoch im Monat zu einem Vortrag bei der Zarin erschienen waren, schmunzelten.
    »Eineletzte Liste noch, dann haben wir es geschafft, Eure Hoheit«, sagte der ältere von beiden und schaute Alexandra dabei schwärmerisch an.
    »Das haben wir nur Ihrer guten Vorbereitung zu verdanken.«
    Die Röte schoss ins Gesicht des Sekretärs, und unbeholfen trat er von einem Bein aufs andere.
    Olly grinste. Die liebe Mamuschka! Wie sie ihren Blumenschal zurechtrückte und so tat, als merke sie nicht, welche Wirkung sie auf den Herrn hatte. War das nicht typisch für ihre schöne Mutter? Sie wurde von allen Menschen geliebt, verehrt, geachtet – doch sie selbst sah nichts Besonderes darin.
    »Wenn eine Frau lieb und freundlich ist, bedarf sie keines Geheimnisses«, hatte sie vor ein paar Tagen zu Mary gesagt, als diese nach Mamas »Geheimnis« im Umgang mit anderen Menschen fragte.
    »Maman, dürfte ich Sie bitten –« Bevor Mary ihren flehentlichen Singsang fortsetzen konnte, schüttelte Alexandra schon den Kopf. »Mary, Liebes, ich habe keine Zeit für euch. Warum besucht ihr nicht eure Brüder? Sie würden sich bestimmt über ein bisschen Zuwendung freuen.«
    »Das ist aber so langweilig«, seufzte Mary. »Nisis und Mischas Kindermädchen lassen uns die Kleinen nicht halten, geschweige denn mit ihnen spielen. Sie haben ständig Angst, wir würden uns ungeschickt anstellen.«
    »Dabei gehen wir mit ihnen um, als wären sie rohe Eier«, bekräftigte Olly die Aussage ihrer Schwester. »Und mit Kosty ist auch nichts mehr anzufangen, seit vor zwei Wochen sein neuer Lehrer angekommen ist. Von früh bis spät sitzen die beiden im Studierzimmer.« Olly hatte den Bruder noch nie so unglücklich gesehen wie in dieser Zeit. Dem Himmel sei Dank beschränkten sich die Studien der Mädchen während der Sommermonate nur auf die Vormittage.
    »Herr Lütke ist nun einmal der Ansicht, dass Kosty das Lernen zukünftig umso leichter fällt, je rascher er in den Stoff hineinfindet. Wohnt doch seinem Unterricht ein wenig bei.«
    Heftig winkten die drei Schwestern ab – manchmal kam ihre Mutter wirklich auf seltsame Ideen!
    DieZarin wies auf die mit weinrotem Samt bezogene Chaiselongue. »Dann macht es euch hier gemütlich.«
    Wohl oder übel trollten sich die drei Mädchen in Richtung der Sitzmöbel – es war besser, ein bisschen zu schlummern, als zurückgeschickt zu werden in die Kinderzimmer, wo einen bloß die Gouvernanten durch die Gegend scheuchten.
    »So habe ich mir unseren Sommer auf dem Land nicht vorgestellt«, seufzte Mary, während sich die Schwestern unter die Decke kuschelten. Wenige Momente später waren alle drei eingenickt.

2. KAPITEL
    M utter, ist Kosty bei Ihnen?« Die Tür wurde aufgerissen, eine Brise Regenluft drang ins Zimmer. »Herr Lütke sucht ihn überall, Kostys Kindermädchen weiß auch nicht, wo er ist, sie hat ihn im Unterricht vermutet und –«
    Schlaftrunken rappelte sich Olly auf. »Sascha!« Wie so oft in letzter Zeit, wenn sie ihrem großen Bruder gegenüberstand, erschrak sie. Sascha schien seit letzter Woche schon wieder um einen Kopf gewachsen zu sein, mit seinen fünfzehn Jahren überragte er sogar bald den Vater.
    »Habt ihr eine Ahnung, wo Kosty ist?«, fragte er nun mit seiner krächzenden Stimme. Die vom Regen durchtränkte Kleidung klebte ihm am Leib, und er wirkte noch schlaksiger als sonst.
    Die drei Schwestern verneinten. »Vielleicht weiß Charlotte Dunker etwas?
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