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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter
Autoren: Petra Durst-Benning
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Weiß verloren und sahen schmutzig grau und wenig einladend aus. Rund um den Katharinenpalast war es wie ausgestorben – keine vornehmen Kavaliere führten mit geschwellter Brust ihre Rösser vor, keine Hof damen spazierten mit Sonnenschirmen die verschlungenen Wege entlang, nicht einmal in der überdachten Galerie, die vom Architekten Cameron extra für Spaziergänge bei schlechtem Wetter angelegt worden war, ließ sich eine Menschenseele sehen.
    Lediglich einige Gärtner mühten sich damit ab, vor der Galerie das erste Laub, vom Regen schwer und pappig geworden, mit Rechen und Schaufeln von den Rasenflächen zu entfernen.
    Mary schaute missmutig aus dem Fenster. »Bei dem Wetter kommen Natalia und Nastinska sicher auch nicht vorbei, bestimmt sind die Wege viel zu aufgeweicht für die Kutschen. Dabei hätte ich meinen Freundinnen so viel zu erzählen!«, sagte sie mit der Inbrunst ihrer vierzehn Jahre.
    »Dann erzähl’s doch Adini und mir, uns ist eh langweilig«, sagte Olly.
    Mary schaute auf die Jüngere herab. »Für solche Gespräche seid ihr noch viel zu klein.«
    Wütend funkelte Olly die Schwester an. »Wenn das so ist, dann spielen Adini und ich zukünftig eben allein.«
    »Ach ja, damit du dich wieder heimlich zu deinem Freund Mischa schleichen kannst?«, zischte Mary. Das Wort Freund klang bei ihr wie ein Schimpfwort.
    »Werist Mischa?«, kam es prompt von Adini.
    Alexandra Feodorownas Blick schoss zu ihren Töchtern hinüber. »Olly – du triffst dich doch nicht etwa mit diesem … Bootsjungen? Ich habe Charlotte Dunker erst letzte Woche eingeschärft, dass ich derartigen Umgang mit Leibeigenen nicht dulde.«
    Olly biss sich auf die Lippen. Das war wieder mal typisch Mary! Nie konnte sie ein Geheimnis für sich behalten. Warum hatte sie ihr nur von Mischa erzählt? Er war der Sohn des Bootsmannes, der für sämtliche Boote und die Admiralität zuständig war. Seine Familie wohnte in einer kleinen Hütte am Rande des Parks.
    »Was ist denn nun? Antworte mir«, kam es ungeduldig vom Schreibtisch.
    »Ich bin Mischa nur ein, zwei Mal zufällig begegnet«, sagte Olly und schämte sich für ihre Lüge. »Das ist doch kein Verbrechen, oder? Sie selbst sagen doch immer, wir sollen freundlich zu allen Menschen sein.«
    Alexandras Augenbrauen hoben sich. »Von wegen zufällig begegnet – mir wurde berichtet, dass du sogar schon im Haus des Bootsmannes warst! War das auch nur ein Zufall?«
    Olly schluckte. Woher wusste die Mutter das? Von Mary?
    Als Mischa sie zum ersten Mal in das kleine Haus gebeten hatte, in dem er, seine sechs Geschwister und die Eltern wohnten, hatte Olly nicht gewusst, ob sie fasziniert oder abgestoßen sein sollte angesichts der drangvollen Enge, die dort herrschte. Kleider, große und kleine Säcke, Werkzeug – alles lag wild zusammengewürfelt herum. Auf der Sitzbank neben dem Ofen hatte sogar ein Huhn gesessen. Seltsamste Gerüche hatten die Luft erfüllt – nach Leder und Bootslack, Tieren und Krautsuppe und vielem mehr. Olly hatte gar nicht gewusst, wohin sie zuerst schauen sollte, wie ein Schwamm hatte sie die neuen Eindrücke in sich aufgesaugt. Dass man so leben konnte …
    Mischas Geschwister sahen auch ganz anders aus als ihre eigenen Brüder und Schwestern. Sie hatten kantige Schultern, ein breites Kreuz und Hände mit Schwielen und Rissen.
    Das käme vom Arbeiten, hatte Mary gesagt und so angewidert das Gesicht verzogen, dass Olly das Kaninchen, das neben seinem abgezogenenFell im Spülstein lag, lieber nicht mehr erwähnte. Angeekelt, aber auch fasziniert hatte sie immer wieder auf den blutigen Fleischhaufen starren müssen – gern hätte sie dieses Erlebnis mit jemandem geteilt.
    Mischas Mutter war von ihrem Besuch alles andere als begeistert gewesen. Fahrig hatte sie ihre blutbefleckten Hände an der Schürze abgewischt, hatte ungelenk einen Knicks gemacht und Olly einen Tee angeboten. Dabei hatte sie die ganze Zeit über so ausgesehen, als würde sie vor Schreck gleich in Ohnmacht fallen. Olly hatte zwar nicht alles verstanden, was die Frau auf Russisch zu Mischa sagte, aber sie glaubte, dass es Vorwürfe waren, weil er sie mitgebracht hatte. Und dass sie deswegen Ärger befürchtete. Nach ein paar Schlucken bitteren Tees hatte sich Olly schnellstens wieder verzogen. Mischa hatte sie danach nie mehr eingeladen, was Olly schade fand. Dass Menschen derart eng zusammenleben konnten, hätte sie nie gedacht. Zu gern hätte sie mehr über dieses Leben erfahren! Was sie den
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