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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter
Autoren: Petra Durst-Benning
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Andere Länder mögen vielleicht Kaiser haben – unser Russland hat einen Zaren , und das von Gottes Gnaden. Und als Zar werde ich Ungehorsam nicht dulden. Den Garaus mache ich den Vaterlandsverrätern, und wenn ich dafür bis an mein Lebensende brauche! Aber als Erstes muss ich mir eine Leibgarde zulegen, die ich bezüglich ihrer Loyalität auf Herz und Nieren prüfen werde.«
    Wiestechend Vaters Blick war! Olly schauderte.
    »Mein Bruder war ein guter Landesvater, aber nach den Jahren religiöser Verklärung ist es an der Zeit, neue Saiten aufzuziehen.«
    »Übernehmen Sie jetzt, wo Onkel Alexander im Himmel ist, seine Arbeit?«, fragte Sascha mit großen Augen. »Braucht man dazu Pferde? Und Regimenter? Und Waffen? Ich könnte Ihnen dabei helfen, eine Uniform hätt ich immerhin schon …«
    Mary erwachte nun ebenfalls aus ihrer Starre. »Das muss eine schreckliche Arbeit sein, wenn man mit so bösen Männern zu tun hat!«
    »Wenn die bösen Männer nicht gegangen wären, hätte ich Sie vor ihnen gerettet!«
    Eifersüchtig beobachtete Olly, wie Sascha für seine Bemerkung nicht nur ein Lachen, sondern auch noch einen Klaps auf die Schulter bekam. »Mein tapferer kleiner Soldat!«
    »Ich war auch tapfer!«, blökte Mary wie ein Schaf hinterher. »Nur Olly hat sich in die Hose gemacht …«
    »Ach Kind, musste das sein?« Unter dem tadelnden Blick ihrer Mutter starrte Olly beschämt auf den Boden.
    Ihr Vater kam um seinen Schreibtisch herum und nahm Olly auf den Arm. Sofort versteifte sich ihr Körper. Oje, jetzt wurde auch noch sein Ärmel nass!
    »Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Uns kann niemand etwas anhaben, niemand.« Eindringlich schaute er von Olly zu seinen beiden Ältesten. »Zwei Dinge müsst ihr Kinder euch merken: Erstens stehen wir Romanows von jeher unter Gottes Schutz. Er hält seine Hand über uns, nichts und niemand kann uns daher etwas anhaben. Und zweitens bin immer noch ich da …« Ein kleines Lächeln umspielte Papas Mund. »Nie und nimmer werde ich zulassen, dass euch etwas geschieht, versteht ihr das?«
    Ollys verkrampfter Leib entspannte sich ein wenig.
    Ja, sie verstand. Der Papa war immer für sie da.

TEIL I
    Nähe des Frühlings
    Im Himmel Stille wohnt; Geheimnisvoll der Mond , Von Nebel fein umwoben ; Und übern Berg geschobe n Hat sich der Liebesstern ; Im blauen Abgrund, fern , Die Körperlosen, schwebend , Bezaubernd und beleben d Die Stille und die Nacht , Begrüßen Frühlingspracht .
    Wassili Andrejewitsch Shukowski
    (1783 bis 1852)

1. KAPITEL
    Zarskoje Selo, im Sommer 1833
    B onjour Madame, je suis Luisa et je –« Olly, die ihre in Fetzen gekleidete Puppe von einem Bein aufs andere hüpfen ließ, brach mitten in der Bewegung ab. »Was ist?« Stirnrunzelnd schaute sie zu, wie Mary ihre Puppe samt selbstgebastelter Krone und anderem Zubehör zurück in die Schachtel packte. »Ich dachte, wir spielen ›Die Königin sucht ein neues Zimmermädchen‹!«
    »Du dachtest!«, sagte Mary schnippisch. »Ich möchte aber lieber Mama fragen, ob wir an ihren Kleiderschrank dürfen, ein paar Hüte anprobieren, bevor ich hier vor Langeweile sterbe …«
    »Hüte anprobieren – das ist langweilig!«, rief Adini voller Inbrunst. »Olly und ich haben dir zuliebe sogar zugestimmt, dass unsere Puppen die armen Bauernmädchen sind, dabei wäre meine Antonia auch gern die Königin gewesen. Wozu habe ich sie so hässlich zurechtgemacht, wenn sie jetzt nicht einmal wegen einer Arbeit vorstellig werden darf?«
    Betrübt sah Olly ihre Puppe an, die über ihren ersten Satz im Vorstellungsgespräch nicht hinausgekommen war. Für das von Mary vorgeschlagene Spiel hatte sie Luisas Zöpfe gelöst und regelrecht verfilzt, in der Hoffnung, dass Luisa nun wie ein echtes Bauernmädchen aussah. Ob sie ihre Haare je wieder glatt und glänzend hinbekommen würde?
    Normalerweisedrängte es die Kinder nach ihren morgendlichen Schulstunden hinaus ins Freie. Die Anlagen der sommerlichen Zarenresidenz Zarskoje Selo mit ihren Parks und Seen, ihren Tiergehegen, Spiel- und Teehäusern waren ein einziger herrlicher Spielplatz, den zu erforschen die Kinder nie müde wurden. So war es kein Wunder, dass sie alljährlich den im Frühsommer stattfindenden Umzug nach Zarskoje Selo kaum abwarten konnten. Zarskoje Selo bedeutete Spiel und Abenteuer.
    Doch an diesem kühlen Augusttag pladderten dicke Regentropfen von den Bäumen und Hecken, alles wirkte düster und müde. Die Kieswege rund ums Schloss hatten ihr strahlendes
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