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Die Zahlen Der Toten

Die Zahlen Der Toten

Titel: Die Zahlen Der Toten
Autoren: Linda Castillo
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Der Wind fegt ums Haus wie ein tobendes Tier.
    Ich öffne die Augen und sehe Detrick. Er hat Blut unter der Nase, einen dunklen Fleck auf seinem Hemd. Alles fällt mir wieder ein. Der Kampf, das Feuer. Ich hebe den Kopf, das Feuer ist aus. Ich spüre den kalten Boden unter mir und merke, dass mein Schlüpfer weg ist. Detrick steht kaum einen Meter von mir entfernt. Er hat die Hose ausgezogen, diesmal richtig.
    »Schrei für mich, Kate.« Er kommt näher, geht in die Knie und legt sich auf mich. »Schrei für mich.«
    Ich mache das Einzige, was ich kann: ich spucke.
    Er versteift sich kurz, dann schiebt er die Zunge raus und leckt den Speichel von seiner Lippe. Ich starre in sein furchterregendes Gesicht, verzerrt von unmenschlicher Grausamkeit. Ich kann nicht glauben, dass mein Leben so enden soll. Das ist inakzeptabel. Ich werde das nicht hinnehmen. Der Wille zu leben tobt in mir, ist zu stark, um einfach ausgelöscht zu werden. Zu heiß, um abzukühlen. Ich werde nicht zulassen, dass er das mit mir macht. Doch die Hoffnung schwindet schnell dahin – diese kostbare Lebensader ist endgültig durchtrennt. Ich bin allein im tobenden Meer, ohne Chance auf Rettung.
    Ich schließe die Augen, werfe den Kopf zurück und schreie.
    · · ·
    Halbblind von Schnee und Wind tastete John sich zur Rückseite des Hauses. Zweimal war er gestolpert und hingefallen, hatte aber nie die Sig losgelassen oder die Orientierung verloren. Der Wind zerrte an seiner Kleidung. Vor ihm lag eine Veranda, deren Fliegenfenster wie Wäsche im Wind flatterten. Geduckt eilte er die Steinstufen hinauf zur Hintertür.
    Gedämpftes Licht drang durch das schmutzige Glas, durch das John in die frühere Küche blickte. Er drehte den Knauf und die Tür ging knarrend auf. Er sandte ein Stoßgebet aus, dass Detrick ihn nicht gehört hatte, und schlich hinein.
    Kates Schrei ging ihm durch Mark und Bein. Sein Herz klopfte wild. In seinen Jahren als Polizist hatte John viel Schlimmes gesehen. Menschen hatten Unmenschliches getan, sogar seine eigene Familie war umgebracht worden. Und doch ließ ihr Schrei jetzt sein Blut gefrieren.
    Er schlich durch die Küche. Den Rücken an die Wand gepresst, spähte er ins nächste Zimmer. Im schwachen Licht eines Heizgeräts sah er Detrick über Kate gebeugt, nackt von der Taille abwärts. Ihr Gesicht sah John nicht, nur die fragmentarischen Umrisse ihres Körpers auf dem Boden.
    Ein zweiter Schrei durchschnitt die Luft. Die Pistole im Anschlag, schob John sich um die Ecke. Detrick musste die Anwesenheit eines Dritten gespürt haben, denn er drehte den Kopf, riss die Augen weit auf und war in Sekundenschnelle auf den Füßen, blickte wild um sich.
    »Hände hoch, damit ich sie sehe«, schrie John.
    Detrick machte einen Satz zum Kamin.
    Kate hob den Kopf.
»Pistole!«,
schrie sie.
    John drückte zweimal ab. Die erste Kugel traf Detrick dicht unter der Achselhöhle. Er blieb wie erstarrt stehen, dann sank er auf die Knie. Die zweite Kugel durchdrang die rechte Wange. Sein Kopf schnellte herum wie nach einem Boxschlag, er fiel zur Seite und blieb regungslos liegen.
    John konnte sich nicht mehr erinnern, die Waffe ins Holster gesteckt zu haben und zu Kate gegangen zu sein. Er sah das Grauen in ihrem Gesicht, die nackten Beine voller Blut. Verletzt, dachte er, aber am Leben.
    Ein Schluchzer entwich ihrem Mund, als er neben ihr kniete. »Ich bin hier«, sagte er mit rauer Stimme. »Es ist okay. Du bist in Sicherheit.«
    »Er wollte mich umbringen«, stieß sie aus.
    »Ich weiß, mein Liebling. Ich weiß. Es ist vorbei. Alles wird gut.«
    Sie war nackt von der Taille abwärts. Er verbot sich daran zu denken, was alles hätte passieren können, zog seine Jacke aus und deckte sie damit zu. Wichtig war nur noch, dass sie lebte. Er war nicht zu spät gekommen. Diesmal nicht.
    »Wie schlimm bist du verletzt?«, fragte er.
    Sie schluchzte jetzt, zitterte am ganzen Leib, unfähig zu sprechen.
    Am liebsten hätte John noch ein paar Kugeln in Detrick gejagt. »Ich binde deine Hände los, ja?«
    Behutsam half er ihr aufzusitzen. Mit seinem Taschenmesser durchschnitt er das Stoffband um ihre Handgelenke, dann nahm er ihre Hände in seine und rubbelte sie. »Bist du verletzt?«
    »Ich bin okay.«
    »Kate, hat er …«
    Tränen strömten aus ihren Augen, als sie ihn ansah. »Nein.«
    Die Erleichterung war so groß, dass John seinen Gefühlen freien Lauf ließ. »Komm her«, flüsterte er.
    Sie streckte die Hand nach ihm aus.
    »Alles wird
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