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Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt

Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt

Titel: Schlangenspuk - Dorothea K. - Schachmatt
Autoren: Martin Clauß
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1
    Drei Formen des Lichts wurden geschaffen:
Das Licht des Erdentages: die Sonne.
Das Licht des Körpers: das Auge.
Und das Licht der Seele: die Wahrheit.
Aus der Mythologie der Basken
    Sommer 1993, in den französischen Pyrenäen
    Die Straße endete in einem improvisierten Parkplatz, und es war höchste Zeit, dass sie das tat. In der letzten halben Stunde hatte sie sich mehr und mehr einem buckligen Rallyekurs angenähert, mit schmalen, tiefen Furchen als Fahrrinnen und steilen Höckern, die den Wagen anhoben wie kleine Sprungschanzen.
    Zwei Autos standen kreuz und quer, ältere Modelle, und man konnte ihnen die rostzerfressenen Karosserien schon von weitem ansehen. Der Fahrer des kleinen Peugeot 306 stellte sein Fahrzeug ebenso unordentlich in die Wiese, in einiger Entfernung allerdings. Er schien zu befürchten, das Alter könne wie eine ansteckende Krankheit auf seinen Mietwagen übergreifen, wenn er ihn zu nahe an den Rostschleudern parkte. Das Auto war viel zu wichtig, um es einem solchen Schicksal zu überlassen. Geradezu unabkömmlich in dieser Einöde.
    Außerdem passte seine Silbermetalliclackierung hervorragend zu dem dunkelblauen Anzug des Fahrers. Am liebsten hätte er es sich ans Revers geheftet.
    Ihr Weg hatte die beiden Insassen vom südfranzösischen Tarbes Dutzende von Kilometern am Rand der Pyrenäen entlang geführt. Bis dorthin waren sie mit dem Zug gekommen – ein ordentliches Stück Weg aus der norditalienischen Stadt Genua. Dreimal im Laufe der zweistündigen Autofahrt hatte Salvatore in den Dörfern haltgemacht, um zu telefonieren. Er war gewiss kein ängstlicher Mensch, aber er musste sich vergewissern, ob er auch wirklich noch auf dem richtigen Weg war.
    Dunkle Tintenwolken hatten den Nachmittag in eine viel zu frühe Dämmerung getaucht. Der Himmel schien den Regen nicht mehr lange halten zu können, ein stürmischer Wind blies aus nordwestlicher Richtung die fetten, nassen Wolkengebirge vor sich her. Was Salvatore anging, hatte er keine große Lust, hier einen Platzregen zu erleben. Zwar sah das Auto aus, als ob es notfalls auch einen Taifun überstehen konnte, doch die eigentliche Frage war, ob noch an ein Vorwärtskommen zu denken sein würde, sobald die Straße erst einmal aufgeweicht war.
    Sie hatten Glück. Ein paar vereinzelte dicke Tropfen, die wie wütende Insekten gegen die Windschutzscheibe knallten – mehr tat sich vorerst nicht.
    Kaum war der Mann ausgestiegen, öffnete sich auch die Beifahrertür. Eine kleine, dünne Frau in einem weißen Jeansanzug sprang heraus, eilte vorn um das Auto herum und legte den Arm um den Fahrer. Sie schien schon die ganze Fahrt über sehnsüchtig auf diesen Moment gewartet zu haben. Als der Mann sich in Bewegung setzte, versuchte sie, eng an ihn geschmiegt, mit ihm Schritt zu halten.
    „Wo ist das Lager?“, wollte sie wissen. Sie reichte ihm gerade eben bis zur Schulter, obwohl er nicht besonders groß war. Ihr hübsches Gesicht mit der Stupsnase und den großen Eichhörnchenaugen wurde von wuscheligen roten Haaren umrahmt. Sie wirkte neugierig, unternehmungslustig. Das schlechte Wetter konnte ihr die Laune nicht verderben.
    „Muss irgendwo da oben auf dem Hügel sein.“ Salvatore Cavallito kämpfte mit seinem Gleichgewicht. Es war nicht ganz einfach, den Hang zu besteigen, während einen der Wind beinahe umblies und gleichzeitig eine Frau wie ein bettelndes Kind an ihm hing.
    Das war Giulias Art. Wenn Männer sagten, eine Frau hänge wie eine Klette an ihnen, dann meinten sie das meistens bildhaft. Auf Giulia traf es im doppelten Sinne zu. Wenn sie mit einem Mann zusammen war, klammerte sie sich mit aller Kraft an ihm fest wie an einem Anker. Sie nahm ihm nicht nur all seine Freiheiten, sie gestattete ihm noch nicht einmal, alleine über die Straße zu gehen. Selbst während der Fahrt hatte sie versucht, sich an ihn zu schmiegen, bis Salvatore ihr klargemacht hatte, dass er so weder lenken noch schalten konnte. Giulia schien den Gedanken, in dieser abgeschiedenen Gegend eine Autopanne zu haben, eher reizvoll zu finden. Und Salvatore hätte jede Wette abgeschlossen, dass sie insgeheim für den Wolkenbruch betete. Nur sie und er, allein im Nirgendwo, den Urgewalten trotzend, das musste so etwas wie ihr Wunschtraum sein. Sie war die Sorte Frau, die Todesangst litt, wenn sie nur einen Tag alleine in ihrem Zimmer verbringen sollte. Zusammen mit einem Mann, den sie liebte, wäre sie jedoch bis in die dunkelste Ecke der Hölle gegangen.
    Er hatte
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