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Der Schwarze Papst

Titel: Der Schwarze Papst
Autoren: Eric Walz
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    Rom, 17. Juni 1552
     
    D ie Prunkbarke des Papstes trotzte den Naturgesetzen. Ein Dutzend Pferde am linken Ufer und ein Dutzend am rechten Ufer zogen das Schiff den Tiber hinauf quer durch Rom - zwei Dutzend tierische Apostel, die den Stellvertreter Christi gemächlich über die Wasser gleiten ließen. Julius III. saß unter einem Baldachin und stieß immer wieder Seufzer der Befriedigung aus, während er auf seine Stadt blickte und die leichte Brise und den kühlen Wein genoss. Ein Knabe, der auf dem Bug in Sonnenschein gehüllt war und schwitzte, sang Hirtenlieder. So sah in den Augen des Papstes ein gelungener Mittag aus.
    Sandro Carissimi stand hinter seinem Sessel, der typische Platz für einen Privatsekretär. Genau wie der Papst auch, ließ er seinen Blick über die Ufer streifen, sah, wie die Wäscherinnen mit den ohnehin krummen Rücken sich mühsam verneigten und wie die jungen Fischer ihre Mützen abnahmen, sah die Kinder im Spiel innehalten und die Soldaten auf den Brücken salutieren. Auf den ersten Blick schien es, als würden nur die wenigen ungezähmten Wesen dem Herrn der Stadt und geistlichen Verwalter des Erdkreises ihren Respekt verweigern, die schreienden Möwen, quakenden Frösche, stechenden Insekten …
    »Au!« Julius schlug sich auf seinen Nacken. »Biester«, schimpfte er - und trank weiter.

    Doch der Respekt der gezähmten Wesen, der Römer, war nur äußerlich. Sandro wusste das, er kannte die Stadt schon sein ganzes achtundzwanzigjähriges Leben lang. Doch der Papst, der mehr als doppelt so alt war, bemerkte es nicht.
    Unheimlich, dachte Sandro, wie es Menschen mit müheloser Leichtigkeit gelang, das, was sie nicht sehen wollten, zu übersehen. In diesem Fall lag die tatsächliche Respektlosigkeit in den leeren Augen der Wäscherinnen, in den zornig in die Mützen gekrallten Fischerhänden und in dem hinter vorgehaltener Hand versteckten Gekicher der Kinder, die diesen höchsten aller Geistlichen nur mit karnevalesken Festen von verschwenderischer Pracht in Verbindung brachten. In ihrem Alter fand man Verschwendung, vor allem, wenn sie mit unnützem Zeug zu tun hat, noch lustig. Die Erwachsenen und die Alten jedoch hielten nichts davon, da sie darunter litten. Für die Stadt und ihre Bürger war kein Geld da, und so konnte die Armut in aller Ruhe um sich greifen und sich zum Elend entwickeln.
    Julius wusste davon nichts, oder besser gesagt, er wollte nichts wissen. Sandro hatte in den vergangenen Monaten mehrmals versucht, den Papst empfänglicher für die Bedürfnisse der Bürger zu machen, und vereinzelt war ihm dies auch gelungen. Aber Massa hatte seine Bemühungen stets untergraben.
    Bruder Laurenzio Massa, der Kammerherr und damit höchste Beamte des Papstes, stand neben Sandro, die Hände wie üblich über dem kugelrunden Bauch gefaltet. Er war ein raffinierter Mann, der die Nöte des römischen Volkes sehr wohl kannte, sich jedoch nicht im Mindesten dafür interessierte. Massa war ein politischer Kopf. Er dachte strategisch und in Allianzen, die ihn weiterbrächten, und Sandro war überzeugt, dass Massa jeden Abend vor dem Einschlafen und jeden Morgen beim Aufstehen statt eines Gebets die Namen möglicher Bündnispartner vor sich hin murmelte. Was seinen, Sandros, Namen anging, so befand dieser sich zweifellos
auf der Liste mit der Überschrift: »Meine Feinde«. Zu Recht, denn Sandro konnte Massa nicht ausstehen, war ihn mehrfach scharf angegangen und war überdies - ohne es zu wollen - zum Vertrauten des Heiligen Vaters geworden. Er hatte zuerst eine Mordserie an Bischöfen während des Konzils von Trient und später den Mord an der Geliebten des Papstes aufgeklärt, und sein Name wurde seitdem oft in den Fluren und Sälen des Vatikans geflüstert. Von manchen wurde er umschmeichelt, von anderen insgeheim zum Gegner erklärt, und mit keinem von ihnen wollte er etwas zu tun haben. Gegen seinen Willen befand er sich nun genau dort, wo er nie hatte hinkommen wollen: mitten in der Schlangengrube des Petrushügels, einzig beschützt vom zweihundertzwanzigsten Nachfolger des ersten Papstes.
    »Sandro«, rief Julius und drehte seinen schweren Körper auf dem Sessel in dessen Richtung. »Was ziehst du wieder für ein Gesicht? Du siehst schon so verdrießlich aus wie Massa.«
    Es passte Sandro gar nicht, in irgendeiner Form mit Massa gleichgesetzt zu werden, daher blickte er etwas freundlicher.
    »Die Hitze ist schuld, Eure Heiligkeit.«
    »Unsinn. Ich kenne deine Mienen und weiß,
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