Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich
Autoren: Max Bronski
Vom Netzwerk:
1.
    Der ältere Herr war eine auffällige Erscheinung. Aufrecht wie ein Herrenreiter saß er auf seinem Hollandrad und die Rockschöße seines beigen Leinenanzugs flatterten im Wind. Mit der Hand hielt er den Strohhut fest. Seine Hosenbeine waren mit Metallklammern vor der Kette geschützt. Um die Schulter trug er ein bauchiges Futteral, in dem sich ein Fernglas befinden mochte. Er ließ dem Rad bergab freien Lauf und bog in den weitläufigen Biergarten der Ottenrainer Schlossbrauerei ein. Gelenkig stieg er von dem federgepolsterten Ledersattel. Zunächst richtete er seinen Anzug, nahm die Klammern ab und zog die Hosenbeine glatt. Dann lupfte er den Strohhut, fuhr sich durchs Haar und reihte sich in die lange Schlange der an der Schänke Wartenden ein.
    Die Hitze drückte. Vom Hochstädter See her kommend suchten die Leute einen schattigen Platz im Biergarten. Eigentlich war Kaffeezeit, aber ein kühles Getränk tat wohler. Manche waren in Badehosen, T-Shirt und Plastiklatschen, andere in bunten Rennsporthäuten oder eben in sonntäglichem Chic, wie der Kreis von mager gewordenen alten Damen in pastellfarbenen Kleidern und bukettgeschmückten Hüten. Um die Kastanien und die massiven, im Boden verankerten Tische herum tobten schreiend und lachend Kinder.
    So fiel auch der ältere Herr nicht weiter auf, obwohl er doch ein Glas Dunkles trank, für das der Kellner in die Wirtsstube hatte gehen müssen. Am Tisch zog er einen rindsledernen Tabakbeutel aus seiner Jacketttasche, entnahm ihm eine Bruyèrepfeife und stopfte sie. Rauchend studierte er die Landkarte und zwirbelte dabei seine buschigenAugenbrauen. Nachdem er seine weitere Route geprüft hatte, faltete er die Karte wieder sorgfältig zusammen und steckte sie in das Futteral zurück. Mit wohlwollendem Interesse widmete er sich anschließend dem bunten Treiben um ihn herum.
    Etwa eine halbe Stunde später verließ er auf seinem Rad Ottenrain und fuhr die sanft geschwungene Straße zum Wald hin. Hinter den Weizenfeldern zweigte ein Schotterweg ab. Ein Schild mit der verwitterten Aufschrift
Moosrain
wies auf ein Holzhaus hin, das an den Waldrand geschmiegt lag. Er sprang aus dem Sattel, schob das Rad und legte dabei seine Hand auf die Glocke, um ihr Anschlagen auf dem holprigen Untergrund zu dämpfen. In einiger Entfernung vom Haus stellte der Besucher sein Fahrrad am Wegesrand ab. Er hatte es bereits gewendet, sodass er nur wieder aufsteigen musste, um zur Straße zurückzufahren. Ruhigen Schritts näherte er sich dem Haus, kurz davor hielt er inne. Er stemmte die Hände in die Hüften und nahm das sich ihm bietende Bild so aufmerksam zur Kenntnis wie zuvor die Landkarte.
    Die Bepflanzung vor allem fiel ihm ins Auge. Ging man geradewegs auf den Eingang zu, zeigten sich Haus und Garten von einem kompakten Bewuchs umgeben. Kam man von der Seite, sah man, dass die Bambusbuschen nicht auf einer Linie, sondern parallel gegeneinander versetzt standen und vielfach Einlass boten. Der Garten war karg und streng. Bäume mit vielfingrigem Geäst in filigraner Struktur hatte man auf Miniaturmaß heruntergeschnitten. Das satte Grün des Rasens wirkte wie eine dicht gewebte Moosfläche und wölbte sich zu sanften Buckeln auf. Ein scharfer Rand trennte das Grün von einer im Sonnenlicht fast weiß schimmernden Sandfläche, in der wie zufällig verstreut Steinbrocken lagen. Ein gebeugter alter Mann stand mittendrin und zog mit einer Harke Linien in einer Anordnung um die Steine herum, als stünden Felsen in strömendem Wasser, das sich an ihnen brach.
    Vom Wipfel einer Buche flog ein Bussard auf. Mit kräftigen Flügelschlägen arbeitete er sich in den strahlend blauen Himmel empor. Dort breitete er seine Schwingen aus, ließ sich von den warmen Winden tragen und kreiste über dem Gelände. Der Besucher verfolgte aufmerksam den Flug des Raubvogels. Dann blickte er wieder auf das Haus, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Er zögerte und tastete die Seitentaschen seines Jacketts ab. Endlich streifte er Lederhandschuhe über, die er dort aufbewahrt hielt. Damit hatte er seine Entschlossenheit wiedergewonnen. Er öffnete das Futteral, holte eine Pistole hervor, anschließend einen Schalldämpfer und schraubte ihn ohne Hast auf den Lauf. Er entsicherte die Waffe und betrat den Garten durch einen Einlass im Bambusgesträuch.
    Der alte Mann blieb in seine Arbeit vertieft und nahm den Ankömmling nicht wahr. Mit einem Rechen zog er den Sand glatt und zerteilte ihn anschließend mit der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher