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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin
Autoren: Ines Thorn
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bin krank, brauche Adams Arznei.» Reginas Hals hatte sich mit aufgeregten roten Flecken überzogen. «Ihr müsst mich mitnehmen, wenn ihr weggeht!»
    Priska wusste nun zwar, dass Regina Luthers Neues Testament nicht beim Rat der Stadt abgeben wollte, doch das reichte ihr noch nicht. Sie wollte wissen, was die Schwester vorhatte.
    «Nun, wir können dich natürlich nicht mitnehmen. Eine Frau, die so krank ist wie du, wird das Bleiberecht für Basel nicht bekommen. Also bleibst du hier.»
    «Nein! Nein, das dürft ihr nicht tun!», schrie Regina und sprang auf. «Ihr müsst mich heilen. Adam muss mich heilen. Ich will nicht sterben! Will nicht ins Spital!»
    «Es tut mir leid, Schwester. Das Leben geht nicht immer so, wie man sich das wünscht.»
    Reginas Blick irrte von Adam zu Priska. Plötzlich stieß sie sich vom Tisch ab und rannte davon.
    «Warum sagst du so etwas?», fragte Adam. «Ich habe kein Angebot aus Basel.»
    «Ich weiß», erwiderte Priska. «Aber die Bibel ist nicht mehr in ihrem Versteck. Regina hat sie. Und ich möchte wissen, was sie vorhat. Beim Rat wird sie uns nicht anzeigen; sie braucht uns. Deshalb die Lüge mit Basel.»
    «Wo ist sie jetzt hingerannt?», fragte Adam und lauschte durch die offene Küchentür ins Haus.
    Plötzlich sprang er auf. «Sie ist im Laboratorium. Ich habe das Knarren der Tür ganz deutlich erkannt.»
    «Im Laboratorium? Was will sie da?»
    «Das werde ich gleich herausfinden», erwiderte Adam und lief hinter Regina her.
    Auch Priska hielt es nicht mehr länger in der Küche. Eine Sekunde nach Adam kam sie unten im Keller an.
    «Regina! Nein!», schrie sie, doch es war zu spät.
    Die Schwester hatte das Behältnis, in dem Adam das Quecksilber aufbewahrte, schon auf und sich das Pulver in die Hand geschüttet. Noch bevor Adam sie daran hindern konnte, hatte sie den Mund aufgerissen und das Pulver hineingeschüttet.
    «Ihr wolltet mich verrecken lassen», keuchte sie und wischte sich über die Lippen. «Ihr wolltet mir nicht genug von der Arznei geben. Jetzt habe ich mir selbst geholt, was mir zusteht.»
    Priska war aschfahl geworden. Sie klammerte sich an Adam, der mit hängenden Armen vor Regina stand.
    «Du hast den Tod gegessen», sagte er leise und fuhr sich über die Stirn, die von kaltem Schweiß bedeckt war.
    Regina sah von ihrer Schwester zum Schwager. Plötzlich begann sie zu zittern. Ihr Körper bebte, der Kopf wackelte auf dem Hals hin und her, ihre Hände flatterten wie Vogelflügel.
    «Mir   … mir ist so heiß», stammelte sie und sah mit Entsetzen auf ihr Brusttuch, das innerhalb weniger Augenblicke durchgeschwitzt war.
    «Helft mir», jammerte sie. «So helft mir doch!»
    Sie taumelte auf Priska zu, griff mit beiden Händen nach ihr, dann fiel sie um und zog Priska mit sich.
    «Adam! Tu etwas!», schrie Priska. Sie rappelte sich hoch, nahm Reginas Kopf in ihren Schoß und starrte Adam an.
    «Es   … es gibt nichts, was ich für sie tun kann. Sie wird in wenigen Minuten tot sein», sagte er tonlos und verließ das Laboratorium.
    «Adam», schrie Priska. «Bleib hier!»
    Doch Adam sah sich nicht um, schüttelte nur den Kopf und ließ Priska mit den Worten «Behüte dich Gott» allein.
    Priska sah hinunter auf ihren Zwilling, den anderen Teil ihrer Seele, dann begann sie leise zu beten, während Regina auf ihrem Schoß die letzten Atemzüge tat.
    Behutsam legte sie die Schwester auf den Boden. Dann holte sie ein Tuch und deckte die Schwester damit zu. Sie wusste, dass ihre Handlungen töricht waren, Leichen kennen keine Kälte, aber sie konnte es nicht ertragen, ihre Schwester so unbedeckt auf dem kalten Boden liegen zu sehen.
    Sie strich ihr noch einmal über die Wange und sagte leise: «Ich wäre dir gern eine bessere Schwester gewesen, doch das Leben war nicht danach. Verzeih mir.»
    Dann ging sie, um den Priester zu holen. Draußen tobte inzwischen ein Schneesturm, der wie ein Wolf durch die Gassen heulte. Waagerecht schossen die Flocken an ihr vorbei, verstellten ihr den Blick. Sie war erst wenige Schritte gegangen, da war ihr Umhang schon ganz weiß von Schnee. Der Wind kniff ihr in die Wangen, die Stiefel rutschten, sodass Priska sich an den Mauern entlangtasten musste. Obwohl noch keine Schlafenszeit war, waren die Straßen menschenleer. Auch aus den Schankwirtschaften drang kein Lärm. Jeder, der konnte, hatte es sich zu Hause am Feuer gemütlich gemacht.
    Sie legte die Hand über die Augen und spähte nach vorn. Ihr schien, als sähe sie eine
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