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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin
Autoren: Ines Thorn
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Gestalt um die Ecke huschen, deren Gang sie an Adam erinnerte. Adam. Wo war er hingegangen? Sie hatte ihn weder in der Küche noch in der Wohnstube gesehen.
    Plötzlich fielen ihr seine letzten Worte ein. «Behüte dich Gott», hatte er gesagt. Sie erschrak. Wo war er?
    Beinahe kopflos rannte sie zurück nach Hause. Nein, sie hatte die tote Schwester nicht vergessen, doch eine Tote blieb tot, da konnte kein Priester mehr helfen.
    Aber Adam! Um ihn ging es. Jetzt erst begriff sie, dass Regina ihn mit ihrem Tod auch um die Früchte seiner Arbeit gebracht hatte. Sie hatte alles Quecksilber verbraucht. Zu dieser Jahreszeit brauchte es Wochen, um neues zu beschaffen. Die Kranken würden rasch sterben. Auffallend rasch und alle zu einem ähnlichen Zeitpunkt.
    Priska stürmte durch die Tür, rief nach Adam. Sie rannte die Treppe hoch, blickte in jedes Zimmer, doch tief in ihrem Inneren wusste sie bereits, dass sie ihn nicht finden würde.
    Der Wind, der durch die Ritzen des Hauses drang und durch die Kamine pfiff, war es, der das Blatt Papier vor Priskas Füße wehte.
    «Mein liebe Frau, liebste Freundin», stand darauf. «Ich nehme Abschied von dir. Verzeih mir, dass ich dich so lange daran gehindert habe, ein glückliches Leben zu führen. Jetzt bist du frei. Gib Nora einen Kuss von mir und sage ihr, dass ich sie immer wie ein Vater geliebt habe. Gott schütze dich. Adam.»
    Priska ließ das Blatt sinken. «Nein», flüsterte sie. «Nicht auch noch du, Adam.»
    Dann wandte sie sich um und rannte zurück auf die Straße, eilte nach rechts in Richtung Barfußgässchen, doch nach zehn Schritten drehte sie sich um und lief in die entgegengesetzte Richtung.
    «Wo bist du, Adam?», flüsterte sie. «Lieber Gott, sage du mir, wo er ist.»
    Und es war, als hätte Gott ihr Flehen tatsächlich vernommen, denn plötzlich tauchte in Priska eine Erinnerung auf. Sie sah einen jungen Adam, der sich in dem Wäldchen nahe des Flussufers geißelte.
    Priska kämpfte sich durch den Sturm, so schnell sie nur konnte. Als sie die schützenden Mauern der Häuser hinter sich gelassen hatte, musste sie sich mit aller Kraft gegen den Wind stemmen. Die Kälte schnitt ihr wie Messer in die Wangen, doch Priska spürte es nicht. Der Schnee drang in ihre Stiefel, ließ die Zehen steif werden, doch sie achtete nicht darauf. Schritt für Schritt erkämpfte sie sich ihren Weg durch die Kälte, Schritt für Schritt kämpfte sie noch einmal um den Mann, dem sie die Treue geschworen hatte.
    Endlos dauerte es, bis sie an dem kleinen Wäldchen anlangte.Sie blieb schwer atmend stehen, formte mit den Händen einen Trichter und rief nach Adam. Der Wind kam, riss ihr den Schrei fort und trug ihn hinauf zu den dunklen, schweren Wolken.
    Es war inzwischen stockdunkel geworden. Nichts außer Nachtschwärze und dem grässlichen Geheul des Windes war hier. Es war ein Platz zum Fürchten, doch Priska verschwendete keinen einzigen Gedanken daran. Und dann sah sie ihn. Das blasse helle Oval eines Gesichtes vor einem Baumstamm. Mit letzter Kraft, die letzten Meter auf den Knien, kroch sie vorwärts. Ihre Hand griff nach seinem Gesicht. Es war kalt und starr.
    «Adam», heulte sie ein letztes Mal mit dem Wind um die Wette, dann sank sie weinend in den Schnee. Adam war tot.
     
    Am Weihnachtsmorgen, am Tag von Christi Geburt, begrub sie ihren Mann und ihre Schwester. Wenige nur begleiteten den Sarg, und die, die weinten, weinten um sich. Es waren die Kranken, die nun ohne Adam ihren Weg zu Ende gehen mussten. Priska hielt Nora an der Hand, die fröhlich neben ihr herhüpfte.
    «Bist du nicht traurig, weil dein Vater gestorben ist?», fragte eine Nachbarin das Kind.
    Nora lachte. «Aber nein. Es gibt Menschen, die sind in Wahrheit Engel. Sie haben sich nur für eine kurze Zeit auf die Erde verirrt. Jetzt ist mein Vater wieder ein Engel geworden. Jetzt ist er dort, wo er zu Hause ist», sagte sie.
    Am Tag nach Christi Geburt ging Priska durch das leere, stille Haus. Sie nahm Adams Sachen, seine Kleider, das Bett und die Kissen, alle Geräte und Vorräte aus dem Laboratorium,und packte sie auf einen Karren. Diesen zog sie zum Johannisspital.
    Nora hüpfte neben ihr her. «Vater braucht als Engel keine Sachen. Wir bringen sie den Kranken. Wir bringen sie denen, die sie brauchen», erzählte sie dem Pförtner.
    Am zweiten Tag nach Christi Geburt packte Priska ihre Sachen zusammen. Sie füllte Truhen und Körbe, leerte die Speisekammer und verstaute Noras Spielzeug in großen
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